Zehn Jahre edition taberna kritika

So richtig griffig lässt sich das Schaffen der Schweizer edition taberna kritika (etkbooks) aus Bern nicht auf den Punkt bringen. Alles ist irgendwie anders, aber schwer durchdacht und gewagt, das macht die Sache spannend. Laut Selbstbeschreibung ist die edition eine „differentielle exempelsammlung in progress“. Das Experimentelle steht im Mittelpunkt, „concept is king“. So finden sich dort freilich handfeste Bücher, aber auch die Medien Objekt und Digitales Objekt. Anhand dieser drei wird das „feld eines erweiterten literatur- und lesebegriffs erschlossen“.
Von wegen klassisches Verlagsprogramm – einmal jährlich gibt es etwa eine gedruckte kleinformatige Annotierte Bibliographie (Version 2018.01), die die edition als „konzeptuelles metawerk abbildet“. Darin findet sich neben den Neuzugängen auch ein höchst detailliertes Schlagwortverzeichnis von A wie „abend mit goldrand“ bis Z wie „zoo (motiv)“. Sämtliche Titel werden darüber hinaus nach der bibliothekarischen Dewey-Dezimalklassifikation (DDC) aufgeschlüsselt. Allein das systematische Kapitel „Notationen“ liest sich schon wie ein kunstvolles Poem. Zur DDC-Notation 641.8 gehört zum Beispiel der Inhalt „Kochen einzelner Arten von Gerichten und Zubereitung von Getränken“. Bei der dazugehörigen Erscheinungsform könnte es sich also um ein Kochbuch handeln, tatsächlich steckt bei etkbooks viel mehr drin als das, nämlich Erinnerungstexte mit Spaghetti-Zeichnungen (Ein Fonduekoch geworden sein von Elisabeth Wandeler-Deck, 2013).

Gespräch mit Verleger Hartmut Abendschein

Wann wurde die edition taberna kritika von wem gegründet und welche Leidenschaften, Visionen sind diesem Schritt vorausgegangen? Wer gehört dazu? Und was steckt hinter dem Namen?

Die edition taberna kritika ging 2008 in Produktion. Gerade feiert sie also ihren 10-jährigen Geburtstag. Im Wesentlichen wird die ganze Arbeit von der Programmierung übers Lektorat bis zur Produktion von mir geleistet. Aber natürlich gibt es auch freie Mitarbeitende, die beim Vertrieb und bei Veranstaltungen helfen oder die z.B. Vor- bzw. Nachworte beisteuern. Da ich ursprünglich vor allem mit literarischen Weblogs gearbeitet habe und Anfang der 2000er-Jahre eine kleine Plattform entstanden ist (litblogs.net), die ich seitdem mitherausgebe, war einerseits ein kleines Netzwerk da und andererseits doch auch der Wunsch, Textkonzepte an ein – damals noch – nicht so netzaffines Publikum zu vermitteln. Mein eigenes Blog taberna kritika – daher der Name – ist übrigens immer noch aktiv und dort werden hauptsächlich Vorstufen von aktuellen Werkprojekten gezeigt, zusammengebaut und archiviert.

Ihr ästhetisches Editionskonzept unterscheidet sich radikal von der Praxis klassischer Verlage. Würden Sie es kurz beschreiben? Sehen Sie sich in Ihrem Tun bestätigt, vor allem auch in Zeiten der gespenstisch schrumpfenden Leserschaft?

Das ist richtig. Wir befinden uns hier in der Nische. Ich sehe den Verlag vor allem als zeitgenössische Exempelsammlung. Als ein work in progress, das in gewissem Sinne systematisch versucht, verdrängte Literaturfelder  zu erschliessen und auch den Literaturbegriff neu zu fassen bzw. zu erweitern. Jeder hinzutretende Titel muss eine eigene Position formulieren und sich von den vorangegangenen signifikant unterscheiden. Das können spezielle Sprach- oder Erzählformen, formale oder mediale Experimente oder kombinatorische Verfahren sein. Hinzu kommt eine Reihe mit Digitalen Objekten, deren Publikation sich an wissenschaftlichen Open-Access-Strategien orientiert und es erlaubt, auch Skizzenhaftes, Fragmentarisches, Formatsprengendes zu dokumentieren und miteinander in Beziehung zu setzen. Die gesamte Verlagsästhetik und -produktion selbst ist über ein fixes Set von Konzepten definiert, sodass sich das Editionsnarrativ praktisch von selbst weiterschreibt. Es wäre natürlich Wahnsinn, so etwas zu machen, wenn man es vor allem auf ökonomischen Erfolg abgesehen hätte. Als langfristiges Kunstprojekt kann das aber nicht auf den Markt schielen.
Nach fast 30 Jahren Beschäftigung mit Buchkultur, als Buchhändler, Literaturstudent, Verlagspraktikant, wiss. Dokumentar bzw. Bibliothekar und Autor, hat sich mir der wirtschaftliche und ästhetische Wandel der Branche natürlich langsam, aber deutlich gezeigt. Aber, naja, vielleicht war das Ganze auch etwas überdimensioniert und der Prozess letztendlich ein Gesundschrumpfen. Jedenfalls höre ich, dass die Leute vielleicht weniger zum Buch greifen, aber nicht, dass sie weniger lesen.

Welches Potenzial sehen Sie in experimenteller und konzeptueller Literatur?

Der Teil, der schon immer eher im avantgardistischen Bereich angesiedelt war, hat sich selten zu Lebzeiten grösserer Aufmerksamkeit erfreuen können. Die Arbeitsbedingungen waren meistens prekär, die Rezeption überschaubar. Aber das scheint mir der Bereich zu sein, wo ich noch am meisten lernen kann und der am sensibelsten auf Veränderungen in der Grosswetterlage reagiert. Und Feldforschung zu betreiben, rücksichtslos interdisziplinär sein zu können und manchmal unverhofft überrascht zu werden, stellt für mich schon einen Wert an sich dar. Hier aber noch ein richtiges Verkaufsargument: Wer zeitlich knapp bei Kasse ist, hat vor allem bei diesen Formen die Möglichkeit, sich kurz und intensiv mit anspruchsvoller Literatur zu beschäftigen.

Was bedeutet für Sie unabhängiges Verlegen?

Alles. Will man eine Edition als poetisches Konzept ausgestalten, dann muss man „Publishing as Artistic Practice“(Gilbert, 2016) konsequent betreiben. „Unabhängig“ heisst darum für mich also auch, unabhängig von Trends, Absatzzahlen oder betrieblicher Präferenz zu sein. Allerdings befinde ich mich auch in der glücklichen Situation, dass ich noch einen weiteren Job an der Unibibliothek habe. So ergeben sich nebenbei auch inhaltliche Synergien. Ich wüsste nicht, ob das auch in einer anderen Konstruktion gelänge. Letztendlich kann der Begriff der Unabhängigkeit aber auch breiter angelegt sein. Man beobachte das zum Beispiel an der Zusammensetzung der Swiss Independent Publishers.

Welche Kriterien sind ausschlaggebend bei der Wahl Ihrer „Titel“ und wie viele Novitäten gibt es pro Jahr? Wie werden diese von Publikum und Medien aufgenommen?

Hauptkriterien sind die Differenz, Diversität und Exemplarizität der Projekte. Insgesamt mache ich im Herbst und Frühjahr jeweils 2 Printtitel. Hinzu kommen nochmal so viele Digitale Objekte. Anfangs Jahr gibt es noch ein Update der Annotierten Bibliographie. Insgesamt sind es also jährlich 8 ½ Positionen, wenn man so will. Natürlich können die Bücher ganz normal über den Buchhandel bezogen werden, allerdings findet sich diese Art von Literatur nicht sehr häufig in den Regalen von Filialisten, sondern eher im gut sortierten Buchhandel mit bestimmten Schwerpunkten. Wir erhalten zwar regelmässig Besprechungen in kleineren oder auch mal literaturwissenschaftlichen Organen, dürfen aber gerne noch vom Grossfeuilleton entdeckt werden. Nach nun beinahe insgesamt 100 Titeln, nimmt man die Digitalen Objekte hinzu, werden die Effekte des Editionskonzepts sicht- und nachvollziehbarer, und die Rezeption des Ganzen als solches nimmt zu. Am meisten Resonanz erhalten wir aber bei Veranstaltungen, auf kleinen Messen oder Festivals, wenn die Bücher tatsächlich ausliegen.

Unter den Neuzugängen finden sich die Fehlversuche von Elke Heinemann, die unser Gast in der Prosa-Reihe des Blogs ist. Wie passt die Erzählung in Ihr Konzept?

Der Text ist nun kein radikales Formexperiment. Aber die Mischung aus Eigenständigkeit der Prosa, Sprachzugang zum Thema und Textstruktur war in dieser Form noch nicht als Position vorhanden. Der Text ist für ein allgemein interessiertes Publikum geeignet und solche Titel sind neben gewagteren Ansätzen in dieser Edition auch sehr wichtig.

Welches ist Ihre persönliche Empfehlung aus Ihrem Programm?

Ich kann hier doch kein Kind öffentlich bevorzugen. Aber als Einstieg eignet sich vielleicht die Bibliographie (DOI: 10.17436/etk.c.034).

Wie sehen Sie die Zukunft des gedruckten Buches?

Ich vermute mal, dass es da weitere Konzentrationen gibt, aber dass sich die Special-Interest-Sektoren noch eine Weile behaupten können. Auch, weil da genug selbstausbeuterische Enthusiasten sitzen. Die Literatur ficht das also nicht an und geht weiter.

Besten Dank an Hartmut Abendschein für das Gespräch und herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!

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Senta Wagner
(Abbildungen © edition taberna kritika/Hartmut Abendschein)

 

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