Oktoberpost aus Wien – Ein Wintermärchen

9783992001439Auch ein altehrwürdiges unabhängiges Verlagshaus wie der Braumüller Verlag muss sich immer mal wieder verjüngen, was bereits seit einigen Jahren bestens gelingt mit einer jungen, qualitätsvollen Literaturschiene. Zu den beachtenswerten Herbstnovitäten zählt insbesondere der Roman Trophäen von Isabella Feimer, es ist ihr dritter innerhalb weniger Büchersaisonen.

So schön eine Liebesgeschichte zwischen zwei namenlosen Sonderlingen sein könnte, sie Nachtwächterin eines angestaubten Hotels, er ein Tierpräparator und Künstler, so kompliziert ist die Sache. Denn schwer wiegen die unaussprechlichen und ungelösten Geschichten von inneren Verletzungen und Grausamkeiten, die sie und auch er mit sich herumtragen. Erst müssen Schatzkisten geöffnet, Tiere präpariert, die Schwester herausgefordert ja, den konservierten Geschichten eine Stimme gegeben werden. Traumwandlerisch finden die beiden auf diesem Weg immer wieder zusammen.

Feimer bewegt sich dabei auf höchst kunstvollem, vielschichtigem und formbewusstem Erzählniveau. Sie ist achtsam im Umgang mit der Sprache wie der Präparator mit seinem Tier, sie bearbeitet, modelliert und rhythmisiert, hier schillert jedes Wort an seinem Platz. Tatsächlich wirkt der Text wie eine lyrische Gesamtkomposition, auch im schönen Layout. Weil vieles verknappt bleibt, erwartet die Lesenden ein weiter Imaginationsraum. Die Welt der „Zwischenorte“ in Trophäen ist eine der Dämmerung, der Dunkelheit, der Kälte, der Träume und der Stille, vor allem eine der Schatten. In ihr findet Märchenhaftes ebenso Platz wie Schauriges. Inspirationsquelle der Autorin ist der Film noir, die ihren Roman schlicht ein Wintermärchen nennt.

Monster, Schatten, Taggespenster,
Wunden heilen, sage ich,
sagst du mir deinen Namen?, fragt er,
ja, sage ich, beuge mich zu ihm,
er lacht, vielleicht war es doch ein Spiel,
ich sage,
lüge, lüge nicht,
war kein Spiel, ist vielleicht Liebe.
(aus: Feimer, Trophäen)

„Zwei Schwestern sind durch ein schreckliches Ereignis aus ihrer Jugend verbunden. Sie hassen sich und doch kommen sie nicht voneinander los. Bevor das geschehen kann, müssen tiefe Narben aufbrechen.
Während die Ältere die Vergangenheit durch Ehrgeiz und Machtstreben längst kompensiert hat, trägt die Jüngere, unbarmherzig zu sich selbst, schwer an dieser Last. Während die Unbeschwerte in bürgerlichen Lebensglanz investiert, sucht die Beladene im Dämmerlicht nach dem Haus ihrer Dämonen. Im Schattenreich, in das es sie lockt, erwartet sie der Geruch von Kirschtabak und Jasmin. Er haftet an einem Tierpräparator und Maler. In seiner Welt der Wiederherstellung illusionierender Lebendigkeit fühlt sie sich sicher. Auch im Kampf mit ihren Dämonen.
Doch als wollte sie damit auch die schlimmste Vernarbung wieder aufplatzen lassen, fordert die ältere Schwester immer unverhohlener Unterstützung für ihr eigenes Lebensglück. Ein Aufbäumen in all seiner Unerbittlichkeit scheint unausweichlich.
Mit intensiven Sprachbildern erschafft Isabella Feimer Atmosphären, die bis in die schmerzhaftesten Abgründe der Seelen zweier Menschen reichen.“ (Braumüller Verlag 2015)

  • Isabella Feimer: Trophäen. Wien: Braumüller Verlag 2015. 251 Seiten. 21,90 Euro. E-Book: 18,99 Euro

 

in-erwartung-einer-fremde-grossIsabella Feimers Faszination für Licht und Schatten geht an dieser Stelle noch weiter. Sie findet sich in dem außergewöhnlichen und apart gestalteten poetischen Bildtextband In Erwartung einer Fremde, der gemeinsam mit dem Fotografen Manfred Poor entstanden und aktuell bei der Literaturedition Niederösterreich erschienen ist. Ein Buch für Fernreisende, für Liebende und sich liebende Fernreisende, in dem sich „Reisen, Sprache, Schreiben und Bild zu einem Ganzen zusammenfügen“.

„Ein Wir auf einer Reise, die durch Argentinien und Chile führt, in Stadtkulissen, Wüstenlandschaften, bis ans Ende der Welt, Mythen und Legenden streift, Begegnungen und Geschichte erzählt.
Das Wir in stetiger Veränderung, in Sehnsuchtsmomenten und Erwartungshaltungen gefangen, getrieben in einer Fremde, die es spaltet und wiedervereint, einer vertrauten Fremde, die verborgene Wünsche, Ungesagtes und bislang nur Erahntes zum Vorschein bringt.
Eine Liebesgeschichte, dargestellt in Text und Bild, die sich in Gleichklang und Widerspruch manifestiert, im Freiheitsgedanken des Augenblicks und im gelebten Moment.“ (Literaturedition NÖ 2015)

  • In Erwartung einer Fremde. Text: Isabella Feimer; Farbfotografien: Manfred Poor. Sankt Pölten: Literaturedition NÖ 2015. 216 Seiten. 23 Euro

 

Siehe auch Isabella Feimers Prosatext in der Reihe „Indie-AutorInnen schreiben für uns“.

Senta Wagner

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