Rike Scheffler, der rest ist resonanz

Scheffler, Resonanz„In Wirklichkeit aber gibt es gar keine Prosa: Es gibt das Alphabet, und daraus entstehen Verse, die mehr oder weniger streng, mehr oder weniger frei sind. Jedesmal, wenn ein Stilwille am Werk ist, entstehen Verse.”
Stéphane Mallarmé, 1891

Rike Scheffler, der rest ist resonanz

Nicht nur Linus Westheuser, auch Rike Scheffler macht beim Lyrikkollektiv G13 mit, das keine gemeinsame Art zu schreiben eint, aber die Abneigung „gegen Vereinzelung, Versnobbung und Konkurrenz im Literaturbetrieb”.
Von Rike Scheffler ist in diesem Herbst ebenfalls ein erstes Gedichtbuch erschienen, mit dem Anti-Hamlet’schen Titel: der rest ist resonanz. / mr

Auf der Website von kookbooks gibt’s daraus als Leseprobe einen Ausschnitt aus dem das Buch eröffnenden Zyklus, der „inspiriert [ist] von klang und charakter der 5 vokale, inger christensens alphabet und dem seltsamen pronomen ‘man’” – so schreibt Scheffler in ihrem Blog und ergänzt: „und dann passierte etwas völlig anderes.”

angenommen aber

angenommen aber, man bastelt am großen abmalen,
am auslassen der farben am see. unruhig stellen sich fragen,
leinwände fallen auf gegenstände, am ufer stemmen sie sich
in den sand. man meint zu erwägen, schatten hätten mehr gewicht.
und wäre das nichts: man ist eine frau, man weiß, von vordächern
kann es genauso kalt schütten wie aus freien himmeln, salz,
flüssig gerieben, und nachtisch sind im gepäck:
eine decke, eine angel, ein ganzer arm sachen,
die einen hoffnungslos glücklich machen.

offensichtlich sich wehren dagegen, anstand haben,
abstand: man geht angeln. armselig dörrt am ufer der fang.
feuer verglimmt. abends nachgeben, schwimmen.
stilles wasser schlucken, alleine nicht lang,
ein gekrümmtes bündel im schlafsack, beim see.

über nacht sich im schweigen üben, bemüht, die silben
nicht zu beschmutzen, spucke zu nutzen für ärgeren unfug:
fisch und hänfling einander vorstellen. träge biegt sich das schilf.
unter obhut stromern am sonntag touristen, handtücher,
alles nach maß. man kennt das, hat selbst schon briefe geschrieben
mit kaltem bleistift, für die, die man liebt, und man wünschte,
die silberne linie würde nicht stimmen, binnen sekunden anders fallen,
an der brust angefangen, nicht richtung kopf zielen,
die spitze der mine, schwer schätzbar, wie tief.

dinge geschehen, wie wahr, wenn man sie lässt. planung
oder fügung, man steht am wannsee und winkt der geschichte.
entschärft seine sprache, reibt sich an ihr auf.
man haftet an wurzeln, hadert beim abmalen,
geht abermals angeln, festhalten am anstand, ritual.
es rudert sich leichter zurück, stimmt einem der abwind,
man gibt sich diesem abwind, ohne ihm zu vertrauen.

„Kunst am Au” habe ich mal eine (nicht fertiggestellte) Kritik zu Brigitta Falkner überschrieben, speziell zu ihrem virtuosen und saukomischen Lipogramm „AU!
Die methodische Schraube”, das als einzige Vokale eben das A und das U verwendet (enthalten in: Brigitta Falkner, Fabula rasa oder Die methodische Schraube, Ritter Verlag, Klagenfurt 2001. Anders als angegeben, ist der Seitenumfang nicht 32 Seiten, sondern 232 Seiten, und der Einband ist keine Broschur, sondern ein Hardcover, aber sonst stimmt alles).
Ganz so fest wie Falkner zieht Scheffler die Methodenschraube nicht an,
aber es ist doch so, wie Mallarmé in der eingangs zitierten Umfrage (denn er sagte es im Zusammenhang mit einer Umfrage) zu Protokoll gab: „Es gibt das Alphabet, und daraus entstehen Verse […].” Das lässt sich hier bei Scheffler sehr schön beobachten, und wie man (sic!) sieht, nutzt sie auch weidlich die Rhythmik der Sprache, ihre Musikalität.

In gutsortierten Buchhandlungen. (Bestellungen nimmt jede Buchhandlung entgegen, wie sich hoffentlich herumgesprochen hat.)

Rike Scheffler, der rest ist resonanz. Gedichte. 72 Seiten, Broschur
mit Umschlag-Poster, gestaltet von Andreas Töpfer. kookbooks, Berlin 2014.
19,90 Euro (= Reihe Lyrik, Band 36)

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