starfruit publications und mit Ann Cotten in den USA

Seine Bücher fielen wie die Äpfel vom Baum. Dass es ganz ausgesuchte Exemplare von besonderer Güte und überschaubarer Menge sind, versteht sich für Manfred Rothenberger, den Verleger von starfruit publications, von selbst.
In dem 2009 gegründeten Verlag (gemeinsam mit Kathrin Mayer) aus Fürth leistet man es sich mit großzügiger Geste, „anspruchsvolle Inhalte und gute Kunst in ein gutes Kleid zu stecken“, das nebenbei auch erschwinglich ist. Die finanzielle Unabhängigkeit sorge hierbei für geistige Unabhängigkeit, so der Verleger, brotberuflich Direktor des Instituts für moderne Kunst Nürnberg, das ebenfalls als Herausgeber fungiert. So muss auch keine Rücksicht auf den schnelldrehenden saisonalen Buchmarkt oder sonstige „kommerzielle Regungen“ genommen werden. Bewusst hängt der Verlag dem Prinzip der Entschleunigung und der Reduktion an: zwei, drei Bücher pro Jahr, mehr nicht.
Bei einem solch ambitionierten Unterfangen haben Konsequenz, Leidenschaft, Herzblut und Liebe oberste Priorität, getragen werde das Ganze dennoch von einem „Schuss positiver Wahnsinn“. Es ist gut, dass dieser manches Mal schalten und walten darf und Ideen Form und Gestalt annehmen. Das Schöne und Besondere, das entsteht, symbolisiert die Sternfrucht, das Logo und der Name des Verlags. Wer starfruit liest/hört, weiß Bescheid. Für die außergewöhnliche Gestaltung jedes einzelnen Titels ist seit den Anfängen Timo Reger verantwortlich. Er ist auf „visueller Ebene das passende Pendant“ des Verlegers und gibt den Büchern ihr „Gesicht“, auch auf den Covern solle sich der zeitgenössische künstlerische Ansatz widerspiegeln.
Tatsächlich beschäftigt Manfred Rothenberger schon seit den Achtziger Jahren die Idee, Kunst und Literatur zusammenzubringen. „Zwei Welten“ im gleichen, ganzheitlichen Produkt zu verquicken, wirksam werden zu lassen, die für ihn zu oft nur „partiell“ wahrgenommen würden – entweder interessiere der Inhalt oder das Design. Die Zukunft des Verlags solle dennoch eine offene, der Welt zugewandte bleiben. In Planung etwa sei ein Interviewband mit Elke Erb, der in diesem Jahr achtzig Jahre alt werdenden Schriftstellerin und Übersetzerin.

Die Auswandernden

Nehmen wir als Beispiel für eine geglückte „Pärchenbildung“ das reiche, analytische, himmlisch herausfordernde und anziehende Sprachkunstwerk Die Auswandernden (2016) des Poeten Peter Waterhouse und der Zeichnerin Nanne Meyer. Hier sei eine Zusammenarbeit der beiden Künstler schon vorher dagewesen. Und es ist nicht so, dass eine den anderen erklärt, vielmehr geht es um ein gemeinsames Thema, das fruchtbar gemacht wird, dabei neue Räume entstehen und Spannung erzeugt wird. Die Illustrationen erlauben aber auch ein Innehalten, eine willkommene Leseunterbrechung.
In diesem Fall hat das Thema Flucht einen höchst aktuellen Bezug, wenngleich Waterhouse schon lange davor an der Geschichte gearbeitet hat. Allein in Media, dem Namen der nach Österreich geflüchteten Kaukasierin, hallt es nach allen Seiten der sprachlichen Vermittlung: Medium, Medien. Lange Momente kann diese Media etwa hingebungsvoll über die Semantik und das Wortfeld des Verbs „gelangen“ sinnieren. 2016 stand der Band auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises.

„Dieses Buch ist ein doppelter Liebesroman: Ein Buch über die Liebe von Peter Waterhouse zu den ‚Auswandernden‘, und ein Buch über seine Liebe zur Sprache, zu Wörtern und Wortklängen, Sinnschärfung und Sinnerweiterung. Nanne Meyer antwortet auf die Prosa von Peter Waterhouse – ihre Linienformationen, Farbwirbel und Strichwolken schreiben den Text vielstimmig weiter.“ (starfruit publications 2016)

FAST DUMM

Zu Sinnschärfung und Sinnerweiterung lädt auch der aktuelle Band von starfruit ein. FAST DUMM – Essays von on the road von Ann Cotton sind das Dokument einer ganz eigenen, eigenwilligen und radikalen Wirklichkeitserkundung. Anders ist die 1982 in Iowa geborene begnadete Dichterin nicht denkbar. Das oben angesprochene Pärchen hat sie sozusagen mit sich selbst und artverwandten Lieblingsautoren (z. B. W. H. Auden, Wladimir Majakowski oder Jordan Lee Schnee) gebildet, von denen Gedichte im Original und in der Übertragung durch Cotten zwischen die Essays und Fotos gestreut sind.
Entstanden ist ein schillerndes Reisefotobuch, „Momentaufnahmen einer Fahrt“, in die USA, die noch frisch aufgerieben sind von der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten – Cotten dort eben vielschichtig feldforschend, „cruisend“, brütend, schreibend, intensiv fotografierend unterwegs in Begleitung des Marquis, der auch Fotos gemacht hat.
Wenn Nachrichten einem suspekt sind, muss man eben selber sich ein Bild machen: „Erst mal hinreisen.“ Und das „Trump-Rätsel“ lösen, sagt sich die Autorin und macht sich auf den Weg. Ihr Trip führt sie etwa nach New York, Detroit, Los Angeles und Mexiko – und natürlich auch zu sich selbst, in diesen regen Cotten-Kosmos. Da fällt sie in „plötzliche Idyllen“ und fühlt sich müde vom „Eindrücke sammeln, nachdenken“. Her mit dem Leben, heißt es dann, und man freut sich, wenn Cotten in Miami vor einem Supermarkt auf einer Bank sitzt und glücklich ist. Letztlich geht es in dem Essayband wohl um den Versuch eines großräumigen Verstehens des Anderen, des Eigenen und der Differenz.
Vor- und Nachsatz in FAST DUMM zeigen jeweils programmatisch eine Ruine, dazwischen liegt ein „verwüstetes, elendes Land voller wundgelegener Konflikte, sozialer Klüfte und innerer Verwerfungen“ (starfruit). Neben den Texten spiegeln das auch die roughen, direkten, ungeschönten, skurrilen und auf maximalen Eindruck angelegten doppelseitigen Fotos wider: Landschaft, Architekturdetails, Glitzer, trüber Alltag. Wer Ann Cottens unerschütterliche Sprache und deren Verwerfungen liebt, kommt sowieso auf seine Kosten.

 

  • Peter Waterhouse/Nanne Meyer: Die Auswandernden. Fürth: starfruit publications 2016. 256 Seiten mit 58 doppelseitigen Farbabbildungen. 28 Euro.
  • Ann Cotten: FAST DUMM – Essays von on the road. Fürth: starfruit publications 2017. 248 Seiten mit 17 Farb- und 9 s/w-Abbildungen. 25 Euro.

 

Senta Wagner

 

 

 

 

 

 

 

 

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