Hotlist – Schwimmerbecken/lichtung verlag

Der lichtung verlag aus Bayern steht mit Schwimmerbecken von Ulrike Anna Bleier auf der Hotlist 2017. Hier gehts zur Verlagsvorstellung.

Und hier stellen wir das Buch näher vor.

Tief in den Brunnen tauchen

Wasser zieht sich als Leitmotiv durch das Buch und durch Luises Leben: einerseits die (sic) Kollbach, die durch das gleichnamige Heimatdorf fließt und deren Name „schwarzes Wasser“ bedeutet, andererseits die scheinbar geordnete Welt des Schwimmbads, wo sie ihre Schwimmstunden gibt. Sie mag begradigte Flüsse, vielleicht gerade, weil es in ihrer eigenen Welt unter der Oberfläche brodelt. Noch dringender wünscht ihr Zwillingsbruder sich Ordnung und zerbricht schließlich daran.

Die Beziehung zwischen Luise und ihrem Bruder Ludwig war immer sehr eng. Trotzdem ist es, ohne ausgesprochen zu werden, klar, dass es Bereiche in seinem Leben gibt, zu denen sie keinen Zugang hat. Und ebenfalls ohne dies direkt auszusprechen, verbleibt immer einer von ihnen in dem bayrischen Dorf Kollbach, als ob stets einer der Geschwister dort Wache halten müsste. Dann verschwindet Ludwig für fünf Jahre und spricht eine fremde Sprache, als er wieder auftaucht. Nicht nur deshalb fällt sein seltsames Verhalten und der Leidensdruck, den ihm dies verursacht, immer stärker auf. Nicht einmal mehr Luise kann zu ihm Kontakt aufnehmen: „Es ist nicht nur die Welt von Bruderherz, aus der er nicht mehr herauskommt, es ist auch meine Welt, in die ich nicht mehr hineinkann. Es gibt nur einen Schlüssel und es gab nur einen Schlüssel, es wird keinen Zweitschlüssel geben. Bruderherz hat diesen einen Schlüssel an sich genommen, als er damals verschwunden ist. Er hat ihn mitgenommen und ich konnte nichts dagegen tun. Er hat ihn verloren und auch dagegen konnte ich nichts tun.“
Schließlich wird Ludwig in die Psychiatrie eingeliefert, und die Zeit ist für Luise gekommen, das Geheimnis um ihn zu ergründen.

So spannend, beklemmend und teilweise schockierend die Handlung ist, sie entwickelt ihre besondere Eindringlichkeit durch die Erzählweise von Ulrike Anna Bleier. Der Roman ist in 57 kurze Episoden geteilt, die in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können. So erhält man beim Lesen sehr authentisch wirkende Einblicke in die Gedankenwelt von Luise. Die Geschichte von Ludwig verläuft nicht linear, sie zieht Kreise wie ein Stein, der ins Wasser fällt und endet auch nicht, als er in der Psychiatrie landet. Episoden aus der Vergangenheit dringen immer wieder an die Oberfläche, weil sie für Luise nicht abgeschlossen sind und bis in die Gegenwart hinein ragen. Alles steht in Verbindung, und Ende und Anfang fließen ineinander: „Ich wusste gar nicht, ob ich mich noch am Ende oder schon am Anfang befand, aber das war ja letztendlich ganz egal, die kalte Nacht im Wartehäuschen nach Taufkirchen war ein Übergang, unmerklich, wie die kurze Pause, die man beim Sprechen macht, wenn man mit dem Wort Ende fertig ist und das Wort Anfang noch nicht angefangen hat.“ So wirkt es ganz natürlich, dass die Geschichte nicht chronologisch, sondern vielmehr zirkulär erzählt ist, auch wenn das scheinbar ziellose Vor- und Zurückblättern im Buch für den Lesenden natürlich ungewohnt ist. Die Sogwirkung wird dadurch aber noch stärker, und gleichzeitig erhöht sich die Spannung, da man einen gewissen Komfort aufgeben muss, indem man das Buch nicht zwingend von vorne bis hinten „durcharbeitet“ und somit kein Ende erkennbar ist, so wie es ja auch für Luise keines gibt.
In den Erzählungen aus dem Dorfleben und bei der Protagonistin, die immer noch im Kinderzimmer bei den Eltern wohnt, ist eine gewisse Stagnation spürbar: „Ich schaue auf die Kirche, deren Turm aussieht wie ein frisch gespitzter Bleistift, der etwas in den Himmel schreiben soll, und ich denke eine Weile darüber nach, wie dieser Bleistift einfach nicht zum Zuge kommt, wie er immer wieder ansetzt, um etwas zu schreiben, in den Himmel, wie er aber immer wieder den Mut verliert, weil das, was er hineinschreiben will, nicht das Richtige zu sein scheint, …“. Gleichzeitig wohnt der Kontinuität ein Trost inne. Auch wenn es Dinge gibt, für die die Familie keine Sprache hat, offenbart sich eine Verbundenheit in kleinen Gesten: So wird es immer, wenn man am Sonntag zu Besuch kommt, einen gedeckten Kaffeetisch und einen Kuchen geben, den die Mutter angerührt und der Vater in den Ofen geschoben hat.

Miriam Mairgünther

 

  • Ulrike Anna Bleier: Schwimmerbecken. Roman. Viechtach: lichtung verlag 2017. 160 Seiten. 16,90 Euro

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