Meinland, Deinland – Keinland

Der Wallstein Verlag ist immer wieder unser Gast. In diesem Jahr steht er mit dem Roman Als ob sie träumend gingen von Anna Baar auch auf der famosen Hotlist. Und so denken wir uns, stellen wir heute noch einen weiteren Roman aus dem Verlag in die Auslage: Keinland von Jana Hensel.

Was ist schon ein Jahr in einem ganzen Leben. Wenn es darum geht, jeden Tag auf den Geliebten zu warten, eine lange Zeit. Wenn es um die Erfüllung einer Liebe geht, der Hauch eines Anfangs. Die Journalistin Jana Hensel, 2002 „schlagartig bekannt geworden“ mit Zonenkinder,  nimmt sich in ihrem literarischen Debüt Keinland, untertitelt „Ein Liebesroman“, beherzt des Themas an: Was vermag die Liebe? Und wann fängt das Scheitern an? Der Roman setzt das Ende einer aufgeladenen Liaison aus Anziehung und Abstoßung an den Anfang und damit die atemberaubend dichte Bilanz der Icherzählerin Nadja in Gang. In knappen Sätzen, trotzigen Du-Ansprachen, Erinnerungsschüben, Wiederholungen von Gesagtem versucht Nadja, schockiert vom klammheimlichen Abschied des Mannes, eine Sprache für sich zu finden, „ich, ach, ich“ – und für die Unmöglichkeit einer Liebe. Die Erzählsprünge werden gebrochen von ruhigeren Passagen, das Changieren lässt den Bilderreichtum der Autorin wirken, vor allem die Chiffre Land entfaltet bis in die Kapitelüberschriften hinein einen poetischen Reichtum, andere Metaphern werden überstrapaziert.

Naturell und Biografien der Protagonisten sind komplex angelegt. Sie, Journalistin, Mitte dreißig, verträumt, glücklos, nachdenklich, ist die, die wartet. Martin, ein grundtrauriger, impulsiver israelischer Geschäftsmann um die fünfzig, kommt und geht – letztendlich, wie es ihm passt. Echte Treffen zwischen den beiden gibt es wenige, die Bangigkeit, das Sehnen der Erzählerin sind groß, nichts wünscht sie sich mehr, als „dass er auftauchte und nicht mehr verschwand“. Die geografische Distanz zwischen ihrem Wohnort Berlin und seinem, Tel Aviv, wird vermeintlich über Telefonate und digitale Kanäle geschlossen. Doch etwas wiegt unendlich schwerer, und zwar bis heute. Trotz zahlreicher Filmvergleiche, die Hensel gerne streut – das Leben ist kein Film, das wäre ja zu schön. Nadja wurde in der DDR (im Buch das „falsche Land“), dem untergegangenen Unrechtsstaat sozialisiert, Martin verlässt mit der Wende Deutschland, das Täterland, und geht nach Israel. Seine verstorbenen Eltern waren Auschwitz-Überlebende, das Thema Holocaust kam alltäglich auf den Tisch. Zerrissenheit, der Wille zu Verortung und Wahrheit, das Fremdsein und die Suche nach Identität, Wut und Scham gehören zu beiden Figuren. Gegenseitiges Nichtverstehen und Verstehenwollen sind ein Motor ihrer Gespräche. Hoffnungsfroh widersetzt sich Nadja dennoch den „Widrigkeiten“ einer deutsch-israelischen Beziehung, den jeweiligen Gespenstern der Vergangenheit ebenso wie Martins Bindungsunfähigkeit bis zum Schluss.
Nicht alles kann die Liebe richten, aber sie öffnet den Menschen die Augen. Geschichte wirkt in ihnen fort. Jana Hensel weiß davon anmutig, kraftvoll und intensiv zu erzählen.

  • Jana Hensel: Keinland. Ein Liebesroman. Göttingen: Wallstein Verlag 2017. 195 Seiten.

 

Senta Wagner

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