Teresa Präauer antwortet

Fortsetzungsgespräch mit der österreichischen Schriftstellerin Teresa Präauer. In den kommenden Wochen und Monaten reden wir über alles: Literatur, Kunst, Schreiben, Lesen, Trash, Nagelstudios, Vögel, Liebe und Hass.

 

 

(1) Hast du Lieblingsbücher?

Ja, ich habe ein paar Bücher in meinen Gedanken immer dabei. Ohnehin kommt das Schreiben auch vom Lesen, nicht nur, aber auch. Ich wiederhole mich, aber man kann den Namen Nabokovs nicht zu oft in den Mund nehmen. Lolita ist für mich eines der tollsten Bücher, die ich kenne. Und auch das sagte ich schon öfter: weil Lolita papieren ist. Die Lust, die als Text sich zeigen kann, ist so, als Kunstwerk, souverän. Schützt nicht vor Missinterpretation, aber das ist auch das Schöne an Büchern: dass sie angreifbar sind, verbal. Ich lese auch seine Vorlesungen über Literatur, Nabokov. So präzise, und dabei so meta und überdreht zu schreiben!

Präzise ist für mich auch Handke, aber darüber gerät man leicht in Streit. Das macht nichts, ich verdanke ihm meine erste berauschende Leseerfahrung, las mit 16 das Wunschlose Unglück, aber ich mochte auch Kali, auch Don Juan, auch den Langen Brief, auch Immer noch Sturm, auch Lucie, am meisten aber die Kindergeschichte. Die Schmetterlinge Nabokovs würde ich Handkes Pilzen vorziehen, aber jedem sein Orchideenfach.

Bei der Lyrik weiß ich gar nicht, wo anfangen und wo aufhören, auch auf die Jahre und die Zeiten gemünzt. Und trotzdem, trotz der Unendlichkeit, ist der Punkt wichtig. Ich schätze die überlegte Anwendung und den bewussten Missbrauch der Satzzeichen. E. E. Cummings fällt mir da ein. Momentan, weil ich in Amerika bin, bin ich bei Frank O’Hara. Ich finde es nicht einfach, Literatur in einer Fremdsprache zu lesen, Gedichte vor allem, aber diese produktive Verschiebung, die da im Hirn stattfindet, kratzt mich gut auf.
Ich bin genremäßig nicht eingeschränkt, schätze das Prollige wie das Elitäre, lese auch manchmal gerne sowas wie Henry Miller oder Françoise Sagan. Und ich habe eine gewisse Vorliebe für Essays. Ich gehe oft in Bibliotheken und weiß nicht, was ich suche. Dann kommt mir ein seltsames Buch zwischen die Finger, vielleicht über Blechspielzeug oder über Boxkämpfe. Das nehme ich mit, und manchmal reicht es mir, bloß den Umschlag anzusehen für die Dauer der Ausleihe. Judge a book by its cover! Dabei geht es nicht um Schönheit.

Ich hab ein paar Bücher über Buchgestaltung gelesen, Tschichold ist der strenge Klassiker, den empfehle ich. So bin ich auf die Broschurbändchen von Jost Hochuli gestoßen, Bücher machen heißt sein wohl berühmtestes. Jost Hochuli ist selbst ein Büchermacher und -sammler, er liest die Bücher aber selten. Finde ich auch einen Zugang! Er dreht die Bücher um und guckt sie sich an und besteht darauf, dass Bücher, die gut gestaltet sind, leistbar sein sollen und gebraucht werden können. Bruno Munari könnte man auch dazu nennen.

Ich zähle einfach noch ein paar Namen auf, die mir das Lesen, also das Leben, erschwert und erleichtert haben, insofern für mich relevant waren oder sind aus unterschiedlichsten Gründen: Klaus Merz, Justin Torres, Ilse Aichinger, Friederike Mayröcker, Philip Djian, Amelie Nothomb, Helmut Berger, Mallarmé, Philip Roth, Roz Chast, Marjane Satrapi, Joan Sfar, Vladan Matijević, de Sade, Peter Weiss, Irmgard Keun, Xiao Hui Wang, Nicolas Mahler, C. W. Aigner, Angela Krauss, Ror Wolf, Gernhardt und Traxler, Harry Mathews und so weiter. – Ich habe vieles empfohlen bekommen und frage nach Empfehlungen. Bitte, Senta!

(2) Ich finde meine Frage gar nicht einfach zu beantworten. Das ist wie mit Lieblingsessen, da fällt mir auch nie was ein. Danke für deine Empfehlungen, manche decken sich mit meinen. Von Nabokov habe ich eine wunderschöne zerlesene rosafarbene Lolita, hat damals zehn Mark gekostet, schrecklich eng gesetzt. Mit 17 habe ich Thomas Bernhard gelesen, das war unglaublich. Beton hat mir Joachim Bessing in Götterspeise einbetoniert. Ich versuche es trotzdem: die ganze Brigitte Kronauer, Rayuela von Julio Cortázar und Malcom Lowry Unter dem Vulkan, Georges Perec. Und: Hana von Elvira Dones, Danielas Emmingers spezieller Gemischter Satz und Text/Bild 183 Tage, Ianina Ilitchevas Vermächtnis.

Du hast einige amerikanische Autoren aufgezählt und warst im April/Mai Writer in Residence in Grinnell, Iowa. Amerikanische Universitäten sind die Wiege des Creative Writing. Du hast nie eine sogenannte Schreibschule besucht, richtig? Wie war der Austausch mit den Studenten vor Ort?

Ich bin gerade aus den USA zurückgekommen. Kürzlich bei einem Abend zur Autorin Elfriede Gerstl in Wien ist mir eingefallen, wen ich noch nennen müsste in meiner Liste an Autorinnen und Autoren. Brigitta Falkner, weil ich hier im luxuriösen Modus des Weiterreichens und Empfehlens spreche, hat soeben einen Band bei Matthes & Seitz herausgebracht. Manche Texte interessieren mich besonders im Vortrag, bei Brigitta ist das der Fall, die Bilder dazu ohnehin. Und Line Hovens Arbeit verehre ich, nicht nur, weil wir befreundet sind. Maira Kalman, Girls Standing on Lawns. Ha! Girls on the Run von John Ashbery zu den Bildern von Henry Darger! Man könnte eine ganze Girls-Liste erstellen, Lena Dunhams Buch hat mich hingegen schwer gelangweilt.

Bildtafel aus „Strategien der Wirtsfindung“ von Brigitta Falkner (Matthes & Seitz 2017)

Ich habe Malerei studiert und Germanistik. Die Malerei war, wenn wir das Wort aus deiner Frage aufgreifen wollen, meine Schreibschule. Jede Woche in einem Plenum über die eigenen Arbeiten, die Arbeiten der anderen und die Arbeiten der Alten und Neuen Meister sprechen zu müssen (dabei auch sehr viel betreten zu schweigen), hinzuschauen, zu vergleichen, Worte zu finden, eine Ordnung im Chaos zu suchen oder ein Chaos in der Ordnung. Das ist nicht einfach, und es hat meine Lust auf ästhetische Extreme gesteigert, und gleichzeitig hat es mir eine Sicherheit gegeben (auch wenn mir jetzt Rühmkorf einfällt mit seinem „Bleib erschütterbar und widersteh“, fühle ich mich eher unerschütterbar und verführbar), nämlich Widersprüche auszuhalten, genau zu sein, auf manchen Konsens zu verzichten. Ich liebe Dreck und Trash, aber das öffentliche Reden in Statements ohne intellektuellen Aufwand mit viel Gepose geht mir arg auf die Nerven.

Maira Kalman, Girl with Ruffled Panties, 2013

Mich interessiert wirklich ein Nachdenken ins Offene. In Berlin an der Humboldt-Uni war ich als Studentin ein Semester bei Werner Röcke in der Mediävistik. Zu Karneval und Karnevalstheorie. Der betrieb so ein offenes Nachdenken im Sprechen, großartig, für mich lebensverändernd. Daran denke ich jetzt oft und für die Zeit in Grinnell am College mit den Leuten: lesen, vergleichen, übersetzen, umschreiben, sprechen. Wir haben Ilse Aichingers Schlechte Wörter gelesen, dann kamen uns Wittgenstein oder die Jelinek dazwischen mit einem Interview, und als es dann zu viel wurde, musste Helene Fischer ran für den Overkill.
Ich glaube, dass man über den größten Dreck sprechen und dass man die klugen Texte verwenden und lesen, zerreißen und wieder zusammensetzen kann.

Das Creative Writing, um auf deine nächste Frage einzugehen, gibt es am Iowa Writers’ Workshop seit den 30er-Jahren als akademische Disziplin. Wenn man dann Kurt Vonnegut als Lehrer hat, stelle ich mir das nicht so übel vor. Aber ob das hilft, ist eine ganz andere Frage. Der Schriftsteller Franz Schuh, den ich sehr schätze, war einmal ein Semester am Mozarteum zu Gast. Er hat nichts gelehrt und er hat uns nichts beigebracht, er redete einfach in seiner unnachahmlichen Art intellektuell, paradox und geistreich vor sich (für sich) hin. Und am Ende sagte er, wer eine Note wolle, solle nun ihm etwas erzählen. Manche haben das, die Ungewissheit, wo nun der Stoff beginne und wo er aufhöre, nicht ertragen können.

Fortsetzung folgt!

 

  • Teresa Präauer, geboren 1979, ist Autorin und bildende Künstlerin und lebt in Wien. Sie studierte Malerei und Germanistik in Salzburg, Berlin und Wien. Und schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Ihr Roman Für den Herrscher aus Übersee wurde mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. 2014 erschien der Künstlerroman Johnny und Jean, 2017 der Roman Oh Schimmi (alle Wallstein Verlag). Nicht zu vergessen die Taubenbriefe von Stummen und anderer Vögel Küken (Edition Krill), dreißig Karten „zum Versand in alle Welt geeignet“.

 

(Foto Teresa Präauer, Dank an (c) Katharina Manojlovic, 2009)

Senta Wagner

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