Aller Anfang ist Tinte

„Wir können immer wieder anfangen.“ Jeden Frühling machen das ja auch die Blumen und Bäume. Der „Anfang“ ist das Motto des diesjährigen vierten Programms der Ink Press, eines zu entdeckenden schillernden Verlags für Literatur und Kunst aus der Schweiz. „Ink Press ist ein Anfang, jedes Mal beim Erscheinen eines Buches aufs Neue …“, schreibt Susanne Schenzle in ihrem Editorial. Die Verlegerin mache weiter, „um immer wieder anzufangen“. Schenzle ist eine bekennende Büchermacherin, von 2009 bis 2013 leitete sie etwa gemeinsam mit Mitbegründer Christian Ruzicska Secession Verlag für Literatur. Sie ist aber auch, so ist zu lesen, eine Bücherverordnerin, speziell dem Roman Hana von Elvira Dones werden Heilkräfte zugeschrieben. Nach einem ausführlichen Interview mit der Verlegerin wird dieser noch genauer auf seine Wirkung hin zu prüfen sein.

Wann wurde der Verlag gegründet?
Ende Dezember 2014 wurde Ink Press GmbH ins Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen. Im Sommer 2016 ist das erste Buch, der Roman Alkohol von Kalin Terzijski und Dejana Dragoeva, erschienen.

Was war Ihre Motivation, was sind Ihre Leidenschaften? Was steckt hinter dem Verlagsnamen?
So lange es Menschen gibt, werden Geschichten erzählt. Bei manchen Geschichten lohnt es sich, sie festzuhalten. Es sind universelle Geschichten, die berühren und die uns im Innersten treffen, die ich bei Ink Press vorlegen will. Ich bin in allem, was ich bin und tue, eine Wahrheitssucherin. Es geht mir um die Wahheit in jeder Art von Kunst.

Der Verlagsname hat sehr viel mit mir zu tun. Es geht um Handwerk, einen Stoff, der gebraucht wird, um zu schreiben, um zu tätowieren, Spuren zu hinterlassen, die bleiben. Er ist Englisch, und bewusst Englisch. Er ist zeitlos. Er assoziiert, ihn schon einmal gehört zu haben genauso wie das Logo. Man glaubt, es schon einmal gesehen zu haben.

Beschreiben Sie das Profil Ihres Verlags, wo soll es hingehen? Es gibt die Reihe Tadoma? Was bedeutet der Name?
Ink Press publiziert Literatur und Kunst. Im Bereich der Literatur gibt es eine Bulgarische Reihe, herausgegeben von Viktoria Dimitrova Popova. Sie hat mit der Nummer 1, dem Roman Alkohol von Kalin Terzijski und Dejana Dragoeva, begonnen und geht chronologisch weiter. Im Herbst 2017 erscheint mit Nummer 4 Kerana Angelovas Roman Elada Pinjo und die Zeit, Deutsch von Viktoria Dimitrova Popova: Die Bulgarische Reihe versammelt die aufregendsten Stimmen aus Bulgarien. Alle Autorinnen und Autoren gehören in ihrem Land zu einer ganz neuen Generation von Dichtern, die sich Gehör verschafft – erstmals auch im deutschsprachigen Raum. Die einzelnen Cover-Illustrationen gestalten Schweizer Künstlerinnen.

In der Reihe tadoma erscheinen alle anderen Werke bei Ink Press im Bereich der Literatur außer aus Bulgarien. tadoma ist der Name einer Gebärdensprache, die sich über das Berühren der Lippen verständigt.

Welche Kriterien machen für Sie gute Texte aus?
Bei einem guten Text kommt sehr vieles zusammen, was danach ein Ganzes ergibt. Um das große Ganze geht es mir und um die „Wahrheit“ in jedem Text. Ich will berührt werden, mit was für Kriterien dies erreicht wird, ist eigentlich egal. Je nachdem braucht es Zeit, so einen Text zu schreiben. Jeder Mensch, der liest, steht zum Zeitpunkt des Lesens an einem bestimmten Punkt seines individuellen Lebens, das spielt eine Rolle für das Lesen und ob ich einen Text gut finde oder nicht, meine momentane Verfassung.

Was ist für Sie der Reiz an fremdländischen Literaturen? Warum Bulgarien?
Ich bin hungrig nach Neuem, nach Unbekanntem, was ich nicht kenne, fremde Kulturen erweitern meinen Horizont, ich will jede Sekunde dazulernen, mehr erfahren, darum werde ich unglaublich gerne älter, je älter, das ich werde, desto mehr habe ich erlebt. Das ist für mich Leben und Verlegen. Bulgarien ist ein kommunikatives Land, das Erzählen ist Teil des Lebens, Geschichten erzählen in all ihren Facetten. Diese verbale Kultur, dieses miteinander reden und der Humor geht in alle Werke ein, die ich bis jetzt aus Bulgarien kenne und das fasziniert mich.

Wie wird Ink Press von Publikum und Medien aufgenommen? Nur in der Schweiz oder auch im gesamten deutschsprachigen Raum?
Ink Press ist ein Verlag in der Schweiz, kein Schweizer Verlag. Bewusst hat der Verlag drei Auslieferungen in den drei deutschsprachigen Ländern. Der Umsatz verteilt sich auf alle drei Länder. Schweiz und Deutschland im Vergleich ist halbe, halbe. Ink Press ist ein Verlag im Aufbau. Die Medienarbeit ist eine Herausforderung als kleinster Verlag. Ink Press bleibt dran. Es sind universelle Bücher, die Ink Press macht und verlegt.

Ihr erstes Kunstbuch im Programm gehört Louise Bourgeois – es ist ein Reprint der Bourgeois-Pionierin Christiane Meyer-Thoss in zweisprachiger Ausgabe. Was bedeutet Louise Bourgeois für Sie? Welche Kunstbücher werden folgen?
Louise Bourgeois ist für mich eine Ikone, für alles, was bildende Kunst ist und sein wird – ein Individuum.
Für Ink Press ist es wichtig, in steter Berührung mit den Künsten zu sein. Dies wird Bücher hervorbringen, die die Zeit überdauern, da es in der Kunst, die sie in sich tragen, um alles geht. Am Anfang steht Louise Bourgeois – Konstruktionen für den freien Fall. Weil ich gar nicht anders kann, als mit ihr zu beginnen – der Leitfigur der jungen Kunst und auch von Ink Press.

Wie verknüpfen Sie künstlerische Ideal und wirtschaftliches Denken?
Ich werde im Buchprogramm von Ink Press keine Kompromisse machen. Künstlerisches Ideal und wirtschaftliches Denken gehen für mich zusammen. Ich komme aus dem Vertrieb. Ich habe viele Jahre im Vertrieb des Ammann Verlags gearbeitet. Der Vorteil ist, dass ich weiß, was ich in der Vergangenheit, angestellt bei unterschiedlichsten Verlagen, verkauft habe und was ich jetzt verkaufe. Ich lese und kenne die Bücher.

Wie stellen Sie sich das Publikum von Ink Press vor?
Es ist bereits jetzt sehr unterschiedlich, was mich ungemein freut.

Wo sehen Sie Ihren Verlag in der Schweizer Verlagslandschaft? Was macht ihn einzigartig?
Je vielfältiger und bunter die Verlagslandschaft im deutschsprachigen Raum ist, desto herausfordernder. Ink Press leistet Pionierarbeit, im Bezug auf die Bulgarische Reihe im Bereich der Literatur, aber auch sonst. Das ist die Einzigartigkeit.

Wer gestaltet Ihre schönen Bücher? Wie wichtig ist Ihnen die Verpackung.
Ernst und Mund in Leipzig gestaltet die Bücher zusammen mit Ink Press. Es geht um das Ganze, nicht um die Verpackung. Das Wort Verpackung gefällt mir gar nicht. Bei der Bulgarischen Reihe zum Beispiel bekommen Schweizer Künstlerinnen den Text als erste Leserinnen, nachdem er fertig übersetzt ist. Ihre künstlerische Reaktion auf die Lektüre des Textes ist der Umschlag. Es geht mir in allem um das Transdisziplinäre. Menschen, die auf etwas reagieren können in ihrem Handwerk, befassen sich anders mit Texten.

Was bedeuten für Sie Glück, Erfolg, Risiko und Unabhängigkeit?
Leben heißt für mich sterben lernen und frei sein in allem, was ich tue, bedeutet mir alles. Nicht ohne Grund habe ich das Buch Louise Bourgeois – Konstruktionen für den freien Fall noch einmal neu aufgelegt. Bücher von Ink Press sind für mich „Konstruktionen für den freien Fall“.

Herzlichen Dank an Susanne Schenzle für das Interview und ihre Begeisterung!

Der Roman Hana der albanischstämmigen Autorin und Dokumentarfilmerin Elvira Dones ist der Premierenband der Reihe tadoma und ein fulminanter Auftakt für einen Jungverlag. Das Handtaschenformat habe das Buch extra. Doch nicht nur damit punktet es, sondern rundum, mit allem, weshalb es auf der Longlist der Schönsten deutschen Bücher 2017 landete.

Die Veröffentlichung von Hana ist die schöne Geschichte einer Begegnung eines Films (Sworn Virgin/Vergine giurata 2015) und einer Verlegerin. Die Buchvorlage erschien bereits 2007 unter dem Titel Vergine giurata, fast zehn Jahre später wird sie von ink press entdeckt und aus dem Italienischen (Dones‘ „adoptierte Sprache“) ins Deutsche (von Adrian Giacomelli) übersetzt. Wir lieben Glücksfälle und verordnen das Buch nicht nur, sondern geben es symbolisch in alle Hände.

Alba Rohrwacher in der Rolle von Hana/Mark in „Sworn virgin“

Hana erscheint zum richtigen Zeitpunkt – Diskurse zu Geschlechteridentitäten, kulturellen Zuordnungen von weiblich und männlich sowie sexuelles Begehren nehmen einen immer breiteren Raum ein. Der Kontext ist das für uns das schreiende Anderssein: die Schwurjungfernschaft im Norden Albaniens im ausgehenden  20. Jahrhundert. Noch heute gibt es an die siebzig inzwischen alte Schwurjungfrauen, wie die Autorin berichtet. Ungern reden sie darüber. Der Schwur der Jungfräulichkeit gilt ein ganzes langes Leben: Der Brauch verlangt den Rollenwechsel von der Frau zum Mann mit allen „Rechten und Freiheiten“ des Mannes. Eine „Metamorphose“, die sowohl von Männern als auch Frauen respektiert wird. Die Gründe dafür sind in der Regel die ökonomische Absicherung der Familie, in der das Familienoberhaupt fehlt, oder die Angst vor Vergewaltigung.
Hana geht mit neunzehn Jahren diesen Schritt, gezwungenermaßen, nach vierzehn Jahren als verwahrloster Mark verlässt sie ihr Heimatdorf in Richtung Washington zur Familie der Cousine, um dort nach mehreren Rückblicken auf Zeiten davor die behutsame wie berauschende Erweckung ihrer eigenen Identität an Haut und Haar zu erfahren. Von der Enge und Unbeugsamkeit der Berge und Wälder, den langen Schneewintern, der Ärmlichkeit und Härte des Lebens in das schrille Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die ein stetes Hintergrundrauschen bleiben. 9/11 ist fast eine Fußnote.
Dones kann einen derben, einfachen, unverstellten Ton anschlagen, es ist von „trockenen Fotzen“ und „Brustjucken“ die Rede, zeigt sich lebhaft und pointiert in ihren Dialogen, legt aber dennoch eine unglaublich poetische Tonspur über ihren gesamten Text. Die erzählerische Perspektive ist die von Hana, was logisch erscheint, führt sie doch ab dem Moment ihrer Verwandlung (dazu schlüpft sie schlicht in die Sachen ihres Onkels)Tagebuch, tastend beschreibt sie ihre Sehnsüchte und lässt sich von Dichterworten leiten. Für einen ketterauchenden Mark, der schwere Lkws fährt und in Männerrunden Raki säuft, sind das originelle Extravaganzen. Erst die auffordernden Briefe ihrer Cousine aus den USA, ihrem alten Dasein den Rücken zu kehren, und ihr beginnendes unbeholfenes Leben dort lassen sie mit dem Schwur der Jungfräulichkeit brechen. Ein berückender Roman über ein rückständiges Albanien, Fragen der Identität und Konstruktionen von Weiblichkeit einer eminent feministischen Autorin.

  • Elvira Dones: Hana. Aus dem Italienischen von Adrian Giacomelli. Nachwort von Ismail Kadare. tadoma 1. Zürich: Ink Press 2017. 252 Seiten. 19 Euro (D)

 

Senta Wagner (sentafoto)

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