Indie-AutorInnen schreiben für uns – Bernd Schuchter (15)

Wer bei einem unabhängigen Buchverlag seine Bücher verlegt, die und den nennen wir einfach mal Indie-Autorin und Indie-Autor. Die beiden müssen das nicht immer bleiben, Literatur lässt sich nicht binden, aber es ist schön, wenn es so ist.
Beim Hotlistblog kamen bisher nur die fertigen Werke, oft die Großform Roman, solcher AutorInnen zu Wort. Jetzt lassen wir sie direkt für uns und alle Prosa schreiben.
Aufstehen! Heute dreht sich alles um das Bett, das fremde Bett. Wir begleiten gerne unseren Gast Bernd Schuchter bei seiner kurzen literarischen Invasion eines Hotelzimmers, die zugleich, so scheint es, eine Begegnung mit den eigenen Gespenstern ist. Der österreichische Autor wurde mit seinen Veröffentlichungen, darunter Erzählungen und Romane, schon bei verschiedenen unabhängigen Verlagen gesehen. Jüngst erschien sein trefflicher historischer Essay Jacques Callot und die Erfindung des Individuums im Braumüller Verlag. Einen sommerlichen Schlenker gibts zum Piper Verlag, wo der „waschechte Tiroler“ Schuchter seine Gebrauchsanweisung für Tirol herausgibt.

 

Das Bett

Muß immer der Morgen wiederkommen? Endet nie des Irdischen Gewalt?
Unselige Geschäftigkeit verzehrt den himmlischen Anflug der Nacht. Wird nie
der Liebe geheimes Opfer ewig brennen? Zugemessen ward dem Lichte seine
Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht Herrschaft. – Ewig ist die Dauer
des Schlafs. Heiliger Schlaf – beglücke zu selten nicht
der Nacht Geweihte in diesem irdischen Tagewerk.
(aus Hymnen an die Nacht, Novalis)

 

In blauem Kristall
Wohnt der bleiche Mensch, die Wang’ an seine Sterne gelehnt
Oder er neigt das Haupt in purpurnem Schlaf.
(Auszug aus Ruh und Schweigen, Georg Trakl)

Wie betäubt war ich, müde von der langen Reise. Mit leisem Schnappen schloss sich die Tür, dröge ließ ich mich aufs Bett fallen.
Ich hatte das Hotel nicht gleich gefunden, dreimal wählte ich den falschen Weg, aber erst als ich vor der makellosen Fassade stand und den Straßennamen las, erkannte ich, dass ich in die Irre gegangen und dem Hotel stets nah gewesen war. Ich hatte den Ort umkreist, als wollte ich nicht ankommen. Wie im Traum hatte ich an der Rezeption meinen Namen genannt, mit zittriger Hand unterschrieben, etwas gemurmelt. Wenige Augenblicke später ging ich über den weichen Flurteppich, in dem man bei jedem Schritt zu versinken schien. Umständliches Fingern mit der Magnetkarte, mehrmaliges Vergewissern, vor dem richtigen Zimmer zu stehen. Kurz die peinliche Angst, die Tür zu verwechseln und für einen Störenfried, einen Einbrecher gehalten zu werden. Die Vorstellung eines erregten Gesprächs mit einem fleischigen, kahlrasierten Hotelgast im Bademantel, der viel zu laut sprach und mir Prügel androhte. Erleichterung, als die Tür aufsprang und mich das heimliche Dunkel des Hotelzimmers empfing. Mit langem Stöhnen ließ ich mich wie im Sturz aufs Bett fallen und blieb für einen Moment mit geschlossenen Augen liegen.
Dann plötzlich das Gefühl wie von Heimkommen in ein leeres Haus, das nicht mehr bewohnt ist. Fremd fühlt es sich an, und leer. Der Geruch von muffigen Gardinen, die schon lange nicht mehr zur Seite geschoben wurden, der Staub auf den Kommoden und Schränken, tote Fliegen im milchigen Glas der Deckenlampe. Stille.
Wie lange ich so lag, ich weiß es nicht; Augenblicke vielleicht, Minuten. Zeit genug, mir die Stille und die Leere anzueignen; mit langsamen Bewegungen zerwühlte ich die sorgfältig glatt gestrichenen Decken des Doppelbetts, beide, so als lebte ich hier. Hastig wickelte ich die Schokolädchen auf den Kopfpolstern aus und stopfte mir beide in den Mund, das Papier warf ich auf den Boden. Ich fand die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, Nachrichten. Die Stimme des nüchternen Moderators hatte etwas Beruhigendes, als wäre man bei der Rückkehr ins leere Haus nicht allein, als würde man erwartet. Stimmengewirr und Hundebellen, Kindergeschrei aus dem Garten und Fliederduft, der von draußen hereinzieht. Frühling. Eine dampfende Tasse Kaffee und noch lange der bittere Geschmack auf der Zunge. Wie im Dämmer die Litanei des Nachrichtensprechers, der von Dunkelziffern und Kilometergeld sprach, dann das Wetter, trübe oder erfreuliche Aussichten.
Rasch ging ich ins Bad und warf die Handtücher auf den Boden, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und tropfte absichtlich auf die Fliesen; die Freude an der Unordnung, sich dabei lebendig fühlen, und doch die Gewissheit, dass ein Zimmermädchen am nächsten Morgen wieder aufräumen wird. Einzig die Warnhinweise, die überall kleben, stören die kindliche Lust. Denken Sie an die Umwelt, verwenden Sie nur so viele Handtücher, wie Sie wirklich brauchen. Seien Sie sparsam. Seien Sie ordentlich. Seien Sie brav. Dabei bleibt es nicht bei Ratschlägen, der Mensch benimmt sich nur aus Angst vor Strafe. Die Bestie muss in Zaum gehalten werden. Rauchen verboten. Ansonsten müssen 200 € Strafe für die Endreinigung berechnet werden.
Der unwiderstehliche Drang, der Drohung zum Trotz zu rauchen. Den Zahnputzbecher aus dem Bad als Aschenbecher, das zittrige Fingern am Feuerzeug, etwas Verbotenes tun. Man muss sich nur an Regeln halten, die man selbst für sinnvoll erachtet, ein Satz zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Ganz langsames Ausblasen des Rauchs, der Blick an die Decke, wo der Rauchmelder installiert ist. Die Vorstellung vom fleischigen, kahlköpfigen Nachbarn, der sich über die Geruchsentwicklung im Nachbarzimmer bei der freundlichen Dame an der Rezeption beschwert. Dann klopfte es an der Tür, zuerst zaghaft, dann lauter. „Sag jetzt bitte nichts, nicht jetzt“, flüsterte ich mir zu und schloss die Augen. Wer nichts sieht, ist auch nicht da. Das Zischen der erlöschenden Zigarette im Wasserglas, Stille. Hatte ich mir das Klopfen nur eingebildet? Wie lange war das schon her, Augenblicke vielleicht, Minuten? Ich schlief ein.

  • Bernd Schuchter, geboren 1977 in Innsbruck, Studium der Germanistik, Geschichte und  Philosophie an der Universität Innsbruck. Buchbesprechungen unter anderem für das Literaturhaus Wien. Seit 2006 Verleger des Limbus Verlags, lebt mit seiner Familie in Innsbruck. Preisträger beim Prosapreis Brixen/Hall (2007) und beim Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck (2014). Zahlreiche Stipendien, zuletzt das Projektstipendium für Literatur des Bundeskanzleramt Österreich, Kunst und Kultur (2016/2017). Letzte Veröffentlichungen: Die Erzählung Jene Dinge (2014), die Romane Link und Lerke (2013) und Föhntage (2014), der literarische Reiseführer Innsbruck abseits der Pfade (2015) und der historische Essay Jacques Callot und die Erfindung des Individuums (2016). Seine Bücher wurden bisher ins Ukrainische, Polnische und Englische
    übersetzt.

 

Hier gibt es den Text als PDF.

Autorenfoto: (c) Peter Gründhammer

(Senta Wagner)

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