Indie-AutorInnen schreiben für uns – Lydia Haider (14)

Wer bei einem unabhängigen Buchverlag seine Bücher verlegt, die und den nennen wir einfach mal Indie-Autorin und Indie-Autor. Die beiden müssen das nicht immer bleiben, Literatur lässt sich nicht binden, aber es ist schön, wenn es so ist.
Beim Hotlistblog kamen bisher nur die fertigen Werke, oft die Großform Roman, solcher AutorInnen zu Wort. Jetzt lassen wir sie direkt für uns und alle Prosa schreiben.
Heute, an diesem milden Tag, geht es mit unserem bewunderten Gast hochheilig her. Lydia Haiders Texte bergen Sprengkraft, sind wüst, kühn und unverstockt. Die junge österreichische Schriftstellerin debütierte 2015 mit kongregation beim Müry Salzmann Verlag und legte bereits ein Jahr später rotten nach, der Stoff war noch nicht abgearbeitet. Beide Romane „fügen sich zu einem grandiosen Doppel – zu einem Sprachkunstwerk aus dem Boden der Barbarei und der heiligsten Schriften unser (Un)kultur“. In diesem atemberaubenden Tempo scheint es weiterzugehen, der dritte Roman ist bereits zur Hälfte fertig. Das wird was, eine Orgie mit Schriftstellerin.

 

Fest von Gewicht: Die diskursiven Grenzen des Todes

Wir treffen uns so wie jeden Freitag zur festgelegten Stunde zum hier so genannten Vorglühen. Heute findet es in einem alten Stadl statt, weil für den Abend ein Unwetter vorhergesagt ist und wir unseren mühevoll gerichteten Haarputz nicht vor der Zeit zerstört wissen wollen. Dort herrscht dann Ausgelassenheit und Übermut und wir betrinken uns mit Nachdruck, zur Hilfe werden Spiele gereicht, die Hochprozentiges noch schneller hineinbringen sollen und für zusätzlichen Spaß sorgen. Dann geschieht etwas, was für ein vorzeitiges Ende dieser noch so jungen Hetz sorgt, denn es kommt tatsächlich ein Gewitter, das wir gar nicht wahrnehmen, weil wir so gut drauf sind, und es schlägt ein Blitz direkt in den Stadl ein, wobei sich das Heu rasch entzündet und wir in der Hütte ersticken und verbrennen, alle, auch der letzte noch.

Doch dem ist dann nicht so, nicht heute, und mit unsrer großen Macht und unserem ausgestreckten Arm haben wir es anders gemacht und das so erstklassige Wochenende nicht einfach fahren lassen.

Und so ist das alles nicht passiert.

Nachdem die Alkohol- und Frohheitsspiegel hoch genug liegen, um sich zum großen Fest zu begeben, machen wir uns auf den Weg dorthin. Und wir gehen die Straße entlang, reichen schunkelnd die Flaschen herum und stimmen das eine oder andere Lied an, und der Weg führt uns wie eh und je über eine große Brücke, die einen Fluss querbar macht. Als wir alle auf der Brücke stehen, da stürzt diese plötzlich ein und mit einem lauten Krachen fallen wir mit Betonteilen und allerlei anderem verkehrstechnischen Unrat in den Fluss mitten hinein und ertrinken darin, alle, auch der letzte noch.

Doch dem ist dann nicht so, nicht heute, weil wir mit unserer Macht und dem so ausgestreckten Arm diesen tollen Abend nicht einfach herzugeben gedenken.

Somit ist das alles nicht passiert.

Wir gehen also weiter, kommen beim Fest heiter und ganz außer uns an und stürzen den Massen entgegen in das Zelt hinein: Was für eine Stimmung, was für eine Wucht, das ist der Höhepunkt dieser Woche. Und es blitzen die Lichter und drängen die Heitren und frohlocken die Freunde schon von Weitem uns zu. Da fällt plötzlich eine Gruppe Jugendlicher auf uns ein, eine Bande muss das sein, und sie ziehen alle unverhofft scharfe und spitze Messer aus ihren Taschen und umzingeln uns gekonnt und stechen uns einfach ab und wir bluten so sehr und wir sterben sofort, alle, auch der letzte noch.

Doch: Heute ist dem nicht so, weil wir nicht wollen, weil da wochentags nur die Unlust regiert und das hier dem Pentennium an Fadesse und Leere erhaben den Rücken kehrt, und so greifen wir mit unserem ausgestreckten Arm da einfach heraus aus der Situation, weil so kann das doch alles im Angesicht dieses Bahös nicht enden.

Daher ist das alles nicht passiert.

Wir vergnügen uns also ausgelassen auf der Tanzfläche und herzen der großartigen Coverband zu und wagen uns dann sogar auf die Bühne, um von dort gemeinschaftlich und mit einem großen Jauchzer als Bühnentaucher in den Zuschauerraum einzuspringen. Und wir breiten die lustigen Hände aus und laufen gemeinsam zur Kante, doch niemand fängt uns große Masse auf und wir stürzen alle übelst auf den harten Tanzboden nieder und brechen uns sofort unser Genick, alle, auch der letzte noch, der auch nicht mehr bremsen kann.

Ja, so ist es, und so ist es doch nicht, denn heute ist es anders gewesen, weil ein derart fürstlicher Abend überhaupt nicht auf diese Weise enden darf, daher – hier verweisen wir erneut auf unsere Macht und unseren ausgestreckten Arm – ist das alles nicht passiert.

Wir sitzen alsdann in Reih und Glied und mit vollen Gläsern an einem der Biertische und mäandern mit den vielen anderen sitzenden Gruppen ringsum neckisch und glorreichen Schalken gleich durch das A und O der ländlichen Phraseologie. Da löst sich ein schwerer Stahlbalken vom Zelt über uns und fällt ganz unmotiviert so einfach auf uns sitzende Gruppe Wortgewaltiger herab und schlägt uns an diesem Biertisch zu Tode, alle, auch den letzten noch.

Doch nicht heute darf es sein, nicht an eines Wochenendes so großartigem Getümmel, und daher schieben wir mit unserer schier unendlichen Macht und unserem ausgestreckten Arm dies böse Ende einfach beiseite und machen es ungeschehen.

Somit ist das alles nicht passiert.

Weil es als verpönt gilt, in diesen Festzelten illegale Substanzen zu rauchen, bewegen wir uns zwischenzeitlich nach Draußen und gönnen uns eine kurze Auszeit und sitzen so auf der Wiese im Kreis und schauen friedlich auf den nackten Nachthimmel hinauf, als da ein Meteorit in die Atmosphäre eintritt und genau auf den Platz, wo wir sitzen, einschlägt und uns mit ihm tief in das Erdreich einhaut, alle, auch den letzten noch.

Indes wir mit unserer unwahrscheinlichen Macht und dem ausgestreckten Arm diese Vernichtung verhindern, ist das alles nicht geschehen.

Nachdem die Bars ob der fortgeschrittenen Stunde keine Getränke mehr ausgeben, begeben wir uns zu einer After-Party in der Nähe, und hemmungslos exaltiert schäkert dort die saufende Ansammlung in die Morgendämmerung hinein, und als wir dazustoßen, da scheint bisher niemand die lecke Gastherme in dieser Wohnung bemerkt zu haben, und als wir uns als ehrliche Rauchende die erste Zigarette anzünden, da explodiert die ganze Wohnstatt und macht uns in einer festlichen Druckwelle einfach dem Erdboden gleich, alle, auch den letzten noch.

Doch heute nicht, weil wir nicht wollen, und wir machen mit unserer großen Macht und unserem ausgestreckten Arm das nicht geschehen, daher ist es auch nicht.

Als hungrige Meute machen wir uns wenig später wie nach jedem Ausgehen auf zum Bäcker, um uns dort mit Gebäck einzudecken und ein segnendes Frühstück zu verzehren und unseren Dank ob dieses zeltfestlichen Genusses auszusprechen. Und so sitzen wir auf der Bordsteinkante vor des Bäckers Verkaufshaus und essen in uns hinein und bemerken den schweren Lastkraftwagen nicht, der auch uns so ruhig sitzende Gruppe nicht bemerkt und uns zarte Junge, da er die Kurve viel zu steil einfährt, mit einem ungebremsten Gepolter überfährt, alle, auch den letzten noch.

Und es soll ein furchtbar entsetzliches Bild gewesen sein, wenn es denn gewesen wäre, weil wir mit unserer großen Macht und unserem ausgestreckten Arm dies nicht geschehen machen, und somit ist es auch nicht passiert.

Müde und unmotiviert will dann natürlich niemand mehr zu Fuß nach Hause gehen und wir rufen kurzerhand ein Taxi, das uns den Heimweg versüßen und unsere Würde behalten lassen soll, denn ohne ein solches würden wir vermutlich in den Graben stürzen, uns verletzen oder einfach schlafend liegen bleiben, bis der nächste Bauer uns fände und uns weckte, oder wir auf diesen Weg ausspeien, auf dass auch die Nachbarin vom verzehrten Frühmahl wisse und noch mit dem Gartenschlauch drübergehen müsste. Doch dieses Taxi kommt von der Straße ab und stürzt mit uns in eine tiefe Schlucht und reißt uns in den raschen Tod, alle, auch den letzten noch.

Große Macht und ein ausgestreckter Arm vereiteln diesen Niedergang, denn der nächste Abend, noch dazu ein Samstag, mit einem überregional namhaften Feuerwehrfest, darf nicht verpasst werden, und wir unterbinden das Geschehen und machen, dass es nicht sei.

Ja was denn da alles passieren kann bei diesen ländlichen Exzessen, doch wo ein großer Wert und tiefer Glauben den Menschen hält, da hat auch der Tod keine Macht mehr über ihn. Und wenn schon sterben, dann während der Woche, an einem Montag oder Dienstag vielleicht.

 

  • Lydia Haider, geboren 1985 in Steyr, lebt in Wien, zwei Kinder. Studium der Germanistik und Philosophie. Arbeitet an ihrer Dissertation. Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquiums Berlin 2016. Finalistin des Alpha-Preises 2016. Start-Stipendiatin 2015.
    Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften (Die Rampe, entwürfe, manuskripte, JENNY, Triëdere). Ihr Romandebüt kongregation erschien 2015 beim Müry Salzmann Verlag, im Herbst 2016 folgte dort der Roman rotten. Im Moment entsteht Roman Nummer drei mit dem Titel Orgie mit Schriftstellerin.

 

  • rotten. Roman. Salzburg: Müry Salzmann Verlag 2016. 184 Seiten. 19 Euro.
  • kongregation. Roman. Salzburg: Müry Salzmann Verlag 2015. 288 Seiten. 24 Euro.

Hier gibt es den Text als PDF.

(Senta Wagner)