Indie-AutorInnen schreiben für uns – Xaver Bayer (13)

Wer bei einem unabhängigen Buchverlag seine Bücher verlegt, die und den nennen wir einfach mal Indie-Autorin und Indie-Autor. Die beiden müssen das nicht immer bleiben, Literatur lässt sich nicht binden, aber es ist schön, wenn es so ist.
Beim Hotlistblog kamen bisher nur die fertigen Werke, oft die Großform Roman, solcher AutorInnen zu Wort. Jetzt lassen wir sie direkt für uns und alle Prosa schreiben.

Heute lassen wir es mit dem Gast unserer Prosa-Reihe geheimnisvoll knistern. Xaver Bayer schenkt uns ein kleines Prosastück aus seinem poetischen Zauberwald. Zwei Jahre liegen die letzten Buchveröffentlichungen des Autors zurück, der Romane, Erzählungen, Gedichte und Kurzprosa schreibt. Seit seinen ersten Texten gilt er als „Wahrnehmungskünstler“, als Stilist mit Hingabe zum Detail. Unbeeindruckt von literarischen Moden ist sein Werk, ausgefallen und voll eigener, wundersamer Schönheit. Xaver Bayer kann noch Staunen.
Aus dem Gehen und Schauen der Dinge und Menschen erwächst ihm ein Gefühl und das wiederum ist der Motor für sein Schreiben, dann gibt es „bisweilen einen Ansturm der Wörter, sie durchtränken einen wie ein Wolkenbruch, und gelegentlich muss man mühselig nach ihnen kramen wie in einer engen, dunklen Schublade“.
2014 erschien beim Jung und Jung Verlag der Miniaturenreigen Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich, Bayer ist dort seit seiner ersten Publikation 2001 beheimatet, und die Edition Korrespondenzen veröffentlichte die Textsammlung Aus dem Nebenzimmer.

Malende

Endlich, dieses andere Mal, blicken wir hoch, um uns zu vergewissern, und als wir zurückschauen, merken wir, in der Zwischenzeit ist alles verschwunden. Wir denken uns: machen wir den Wind dafür verantwortlich, er verweht ja alles, selbst Worte und Buchstaben. Sogar das Q und das A, die noch eine Weile im rostigen Zaun des Nachbargrundstücks hängengeblieben sind, werden von einem Moment zum anderen weggetragen, aus den Augen, aus dem Sinn. Und auch das Haus, das auf diesem Grundstück stand, ist fort. Es war ein elegantes, schlichtes Gebäude, mit hübschen Verzierungen über der Tür und zur Jahreszeit passendem Schmuck hinter den Fenstern. Der Nussbaum, der vor dem Haus in die Höhe wuchs, ist ebenfalls entfernt worden. Jetzt ist hier eine Brachfläche, von Baggerschaufeln kahlgekratzt. Kein Wunder. Und die Bagger selbst sind auch schon verrostet, liegen hangabwärts und verwittern durch Regen und Hitze und den Sand, den der Wind darüberbläst. Sogar die Straße, an dem das Haus stand, ist nahezu verschwunden, größtenteils unbefahrbar, Teile von ihr weggebrochen, andere vermurt oder wegen tiefer Schlaglöcher unpassierbar. Wohin also? Wer weiß, was einen am Ende der Straße erwarten würde. Vielleicht ein Garten, wo neben Obstbäumen im Schatten einer Zeder das Gerippe eines Pferdes liegt und von der Sonne über die Jahre ausgebleicht wird. Am unteren Ende des Gartens, da fließt ein kleiner Bach den Hügel herab. Libellen in der Luft. Krebse auf bemoosten Steinen. Märchenhaft. Und wir schauen noch einmal hoch, unsere Blicke streifen die Kronen der Bäume, die sich im Wind leicht hin und her neigen, und der Himmel darüber wie ein blinder Spiegel, und als wir wieder ins strömende Wasser schauen, ist es gut, niemand denkt an uns, es ist, als hätten wir niemals existiert, und so packen wir die Staffelei ein und machen uns allmählich auf den Rückweg, und das, und nur das, ist die Moral der Geschichte.

 

  • Xaver Bayer, geboren 1977 in Wien.
  • Aus dem Nebenzimmer. Wien: Edition Korrespondenzen 2014. 224 Seiten. 21 Euro
  • Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich. Salzburg/Wien: Jung und Jung Verlag 2014. 204 Seiten. 19,90 Euro

 

(Foto des Autors: © Vasili Bakalos)

Senta Wagner

 

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