Neue Verlagsknospe gesichtet– der Verlag Wortreich

Immer wieder rüsten sich Menschen und gründen einen Verlag. Warum, fragen wir und bekommen mannigfaltige Antworten. Manche bleiben, andere gehen schwer daran. Für die meisten ist es eine Erfüllung. Wie auch für den Verlag Wortreich. So ein junger Verlag fand sich selten in der Blütenauslage des Hotlistblogs. Der unabhängige, kleine Verlag für deutschsprachige Gegenwartsliteratur wurde 2015 von Karoline Cvancara mit „Idealismus und Herzblut“ und dem „Glauben an ein gutes Buch“ in Wien gegründet. Seit Beginn setzt man bewusst auf die „Nische anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur“.
Bisher macht der Verlag mit einem Gesamtprogramm 2015 (zehn Titel) und einem Frühjahrsprogramm 2016 (sechs Titel) auf sich aufmerksam. Darunter findet sich auch ein Roman der Verlegerin selbst (Am Tiefpunkt genial), die ursprünglich aus der Jazzszene stammt. Ein besonderes Händchen zeigt sie bei der künstlerischen  Gestaltung der Cover durch Alice Haring und überhaupt dem sorgsamen, feinstimmigen Gesamtauftritt.
Bei Wortreich, einem vielfältig dreh- und wendbaren Namen, steht kurz gesagt alles „Im Zeichen des Lesevergnügens“, womit man auch auf dem ganz großen Buchmarkt punkten will. Dazu braucht es nur, laut Cvancara, genreunabhängige packende und mitreißende Geschichten – dann landet man bei Wortreich wie bisher einige Debütantinnen und Debütanten, aber auch etablierte Autorinnen und Autoren. Zu diesen gehört der umtriebige Bachmannpreisträger Peter Wawerzinek mit seiner schönen Buchveröffentlichung Ich Dylan Ich.

image001-171x300Hoch die Tassen

Dylan steckt fest zwischen zwei Ichs. Das Aneinandergedrückte des Titels ist emblematisch für den neuen Roman von Peter Wawerzinek. Er erzählt von der biografischen Nähe zu dem Starpoeten Dylan Thomas und einer unstillbaren Verehrung. Mehr noch: Es rauscht darin nicht nur das Meer, sondern tönen fast hörbar zwei Dichterstimmen. Dylan Thomas’ Werk ist weltberühmt, seine Auftritte legendär. Für den Ich-Erzähler oder Wawerzinek, wie er aus Gründen der autobiografischen Grundtönung im Werk des Autors hier jetzt heißt, ist er ein „Genie“, eine „Ikone der Vortragskunst“. Der Autor ist vierzehn, frisch adoptiert, und hört den großen walisischen Dichter im Radio.
Der Junge fühlte sich augenblicklich, auch wenn er nichts verstand, im „Singsang“ dieser Stimme geborgen: „Dylan, deine Stimme wurde zu dem, was mir Mutter und Vater sein hätte können.“ Aus dieser Infektion entwickelte sich nun Jahrzehnte später, zum hundertsten Geburtstag von Thomas, ein poetisches Echo in schöner Buchform.
Dylan Thomas ist nur in seiner Größe zu begreifen: als Dichter und als Trinker, so wird er gesehen, so sah er sich selbst, so wird er bewundert wie rundweg abgelehnt. Wawerzinek legt nun seine eigenen Lebensspuren auf diejenigen des Walisers und entwirft in Bild und Gegenbild eine schillernde Sicht auf beide Dichter, auf zufällige Gemeinsamkeiten und auf Unterschiede. Der Autor erzählt Dylan von Peter, vom kleinen und großen.
Dazu werden Reisen nach Wales unternommen, abschließend sogar nach Manhattan, eine Art Heimsuchung des toten Idols, gleichzeitig eine Introspektion des Reisenden: „Immer deinen Worten, Zeilen, Häusern und Orten nach. Mit deiner Dichtung im Ohr.“ Swansea und Laugharne, Pubs, Bier und Whiskey, das Elternhaus, die „Klippenhütte“, Fensterblicke, Ehefrau Caitlin. Draußen die schöne, ruppige Natur, der Wind, der Nebel, beider Blicke im Meer versunken – Rabenvögel als stete Weggefährten. Die Beschreibungen sind prall und direkt, aber auch weich, schwärmerisch, übersinnlich, betörend poetisch. Wawerzineks eigener Singsang.
Tatsächlich ist der Tod ein weiterer stiller Protagonist, dieser sorgt für einen insgesamt melancholischen Grundton. Die Hommage richtet sich an einen Verstorbenen, der in seiner Dichtung lebt. Wawerzinek hat seine Trunksucht in den Griff bekommen, Thomas schaffte das nicht, sie war sein Untergang. Das hält der eine dem andern vor.
„Ich bin du. Du bist ich.“ Das sagen vielleicht Liebende zueinander, im Roman bleibt die Perspektive einseitig, es ist die tief persönliche von Wawerzinek. Der pathetische Ton solcher Sätze, bisweilen ganzer Passagen blitzt immer wieder auf, ins Rührselige kippt er aber gerade nie. Thomas‘ Perspektive braucht es nicht, er ist der Angesprochene, der Zumlebenerweckte. „Ich habe deinen Tod aufgehoben und mein Leben an das deine gebunden.“

  • Peter Wawerzinek: Ich Dylan Ich. Wien: Verlag Wortreich 2015. 151 Seiten.

Senta Wagner (sentafoto, Cover: Alice Haring)

(die Rezension erschien in kürzerer Fassung im Magazin Buchkultur 164)

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