Durch den Dichterwald stromern mit Christoph W. Bauer

7022.jpg.thumb-380x550-keepratioErobert Lyrik einen Platz auf Bestenlisten, wird immer gestaunt. Dabei gehört sie dort ebenso hin wie auf sämtliche Büchertische. Und sie bedarf unserer Aufmerksamkeit, egal wo sie sich befindet. Nun also der Gedichtband Stromern des hochproduktiven österreichischen Dichters Christoph W. Bauer, der seit Januar 2016 auf der ORF-Bestenliste steht, im Februar sogar an der Spitze. Bauers Verlagsheimat weiterer erfolgreicher Gedichtbände, von Prosa und den zuletzt großartigen Erzählungen In einer Bar unter dem Meer (2013) ist seit 1999 der Tiroler Haymon Verlag.
„Stromern: tust du, wenn du nicht geradewegs gehst und kein Ziel hast, sondern da lang und dort lang läufst, wo es dich halt hin verschlägt.“ Diese treffliche Definition ist dem literarischen Lexikon aus dem Roman Die Tutoren von Bora Ćosić entnommen. Bauer und seine Gedichte tun genau dies und durchstreifen im ersten der vier Gedichtzyklen Kindheitslandschaften. In den weiteren widmen sie sich der Zwiesprache mit Dichtergrößen und Vertrauten im Geiste (Catull, Archilochos, Trakl, Pound, Beckett, Roth, Bachmann, Nizon u. a. mehr), streunen in Paris, der „Stadt der Städte“, umher und korrespondieren mit der Vagantenlyrik sowie ihren Vertretern. Eingerahmt sind sie von einer Anrufung François Villons, größter Dichtervagant Frankreichs, und einem Adieu an den Dichter. In allen Gedichten finden sie für Bauers eigene Umtriebe eine ungeschminkte („wie immer unrasiert“), direkte, existenzielle Sprache, in der Spott, Brisanz, Witz, Sinnenfreude und Hingabe an die Poesie Eingang finden. Es wird lustvoll gereimt, Sonett, Terzine und Ballade wiederbelebt. Stromern ist voller Eigensinn und Leidenschaft. Es stellt unseren Blick auf die Welt stets aufs Neue scharf.

 

fahrig schon morgens und angezählt
von einem blick aus dem spiegel
warum sich die zähne putzen
wo doch der biss verloren ging

und wer stellt solche fragen wenn
nicht das röcheln der kaffeemaschine
als begleitmusik eines films dessen
rollen seit jahren vergeben sind

schön ist das leben und ungheuer
abwechslungsreich die zukunft
reduziert auf einen klinikbefund

schwein gehabt säuseln horoskope
alles hat seine zeit mahnt der tag
und für alkohol ist es noch zu früh

(aus: Bauer, stromern, 2015)

 

Für den Haymon Verlag ist Bauers Lyrik zwischen „Punk und Poesie“ angesiedelt.

„Was der junge österreichische Lyriker Christoph W. Bauer mit seinem Überraschungserfolg mein lieben mein hassen mein mittendrin du gezeigt hat, setzt er in seinem neuen großen Gedichtband fort: Mal rau, mal sanft, dann wieder lakonisch oder laut, immer aber augenzwinkernd und schelmisch – mit durchschlagender poetischer Kraft erzählt Bauer von Leben, Liebe und Sehnsucht ebenso wie von der Zumutung des Daseins.
„sag an villon komm sprich mit mir“ – nicht von ungefähr steht der französische Dichter François Villon dem Band von Christoph W. Bauer Pate. Motor seiner Gedichte sind das Unterwegssein, das Vagabundieren, die Angst vor dem Stillstand. So treibt das lyrische Ich durch Kindheitslandschaften bis in die Stadt der Dichter, nach Paris. Lustvoll streunt es durch die Geschichte der Poesie, gibt Wegbegleitern wie Rimbaud, Trakl und Heine eine zeitgenössische Sprache. Durch Bauers frischen Blick liest man die alten Meister mit neuen Augen.
Christoph W. Bauer vereint in seiner Lyrik stets Tradition und Moderne. Mühelos setzt er Welten in Verbindung, knüpft an die Überlieferung antiker Poesie ebenso an wie an den legeren Tonfall moderner Popkultur und wechselt ungezwungen die Stimmungen und Tonlagen. So lässt sich stromern als Entwicklungsreise lesen, die Vergangenheit und Gegenwart vernetzt und unserer Zeit den Spiegel vorhält.“ (Haymon Verlag)

  • Christoph W. Bauer: stromern. Gedichte. Innsbruck: Haymon Verlag 2015. 133 Seiten

 

Senta Wagner (+ sentafoto)

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