Wurfpost aus Wien – Scheinwerfen bei Luftschacht

417mITcVTuLDer Mensch ist unter Umständen ein Füllhorn an Talenten. Ich kann was, was du nicht kannst, denkt er. Buchverlage müssen auch so ihre Gaben haben. Oder es wie der beliebte Luftschacht Verlag aus Wien machen und gleich einen ganzen Roman über ein außergewöhnliches, nie gehörtes Talent veröffentlichen und dabei einem Debütanten eine Bühne zur eigenen Talentprobe geben. Vielleicht ist das Ganze auch etwas um die Ecke gedacht. Der Hotlistblog präsentiert jedenfalls den sympathischen Schweizer Giuliano Musio mit seinem ersten sehr dicken Buch Scheinwerfen.

Luftschacht sagt …
„Es handelt sich sicher um einen der ungewöhnlichsten Familienbetriebe im heutigen Bern: Durch bloße Berührung können die Weingarts verschüttete Erinnerungen anderer Menschen sehen. Aber was als Geschäft gut funktioniert, wird für die Beteiligten mehr und mehr zur persönlichen Falle. Eine Gabe wird zum Fluch, Erinnerungen werden zum Verhängnis.

Humorvoll abgründig und mit realistischer Prägnanz erzählt Giuliano Musio von der fatalen Macht der Erinnerung. Das „Scheinwerfen“ vererbt sich in der Familie Weingart seit Generationen und wurde für einige von ihnen inzwischen zur guten Lebensgrundlage. Julius, studierter Psychologe und in mancher Hinsicht ein Spätzünder, versucht mit trauriger Verzweiflung den Ansprüchen des Geschäfts gerecht zu werden und hinter das Geheimnis zu kommen, das seine Freundin Sonja in letzter Zeit immer stärker zu belasten scheint. Sonja ist gleichzeitig seine Cousine und arbeitet ebenfalls in der Praxis, genauso wie sein Bruder Toni, der mit seiner Homosexualität hadert und sich auf eine problematische Vereinbarung mit dem Sohn eines Kunden einlässt. Nur der plötzlich auftauchende Halbbruder Res ist grundsätzlich mehr als zufrieden mit sich und der Welt, was aber vor allem an einem geistigen Manko und einer daraus resultierenden, ganz eigenen Wirklichkeit liegt. Die Geschehnisse um sie alle haben mehr miteinander zu tun, als sich die Brüder zunächst vorstellen können. Ihre Gabe, fremde Erinnerungen zu sehen, wird die einzelnen Fäden nach und nach zusammenspinnen. Aber es werden Erinnerungen sein, die vielleicht besser weiterhin geruht hätten.“ (Luftschacht Verlag 2015)

Weil auch Mariki von we read indie von dem Roman schwärmt, ist sie hier zu lesen und dort.

Die fatale Macht der Erinnerung
Die Weingarts haben eine sehr spezielle Gabe: Wenn sie jemanden berühren, können sie seine verdrängten Erinnerungen sehen. Jeder aus der Familie, der seine Initiation hatte, spürt dadurch jene Erlebnisse auf, an die die Menschen selbst nicht mehr herankommen. Die Brüder Julius und Toni haben dieses Talent von ihrem Vater geerbt, ihre Mutter hat daraus ein florierendes Geschäft gemacht: Die Kunden geben sich die Klinke in die Hand, um mithilfe der Weingarts verlorene Schlüssel, den Namen eines Vergewaltigers oder ein Gefühl aus der Kindheit wiederzufinden. Cousine Sonja, die zugleich die Freundin von Julius ist, arbeitet ebenfalls in diesem eigenartigen Familienbetrieb mit, und auch Halbbruder Res, von dessen Existenz niemand wusste, beherrscht das Scheinwerfen. Doch während die Klienten von dieser Weingart’schen Gabe profitieren, wird das Scheinwerfen für Toni, Julius, Sonja und Res zum Fluch – für jeden von ihnen aus einem anderen Grund … (we read indie 2015)

  • Giuliano Musio: Scheinwerfen. Wien: Luftschacht Verlag 2015. 404 Seiten. 25,20 Euro

 

Senta Wagner und Mariki

1 thoughts

  1. Und schon in wenigen Tagen gibt es ein tolles neues Buch aus dem Verlag mit den vielen Talenten: Ulrike Ulrichs Erzählungsband „Draussen um diese Zeit“ erscheint Ende Juni und enthält Texte, die ganz mühelos gegenwärtig sind, einen eigensinnigen Humor besitzen und sprachlich sorgältig gestaltet sind.

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