Neues sichten: Hillmann Hammett

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Als Hans Hillmann Ende 1975 mit der Umsetzung von Dashiell Hammetts Kriminalgeschichte Flypaper begann, war es sein erklärtes Ziel, den Text zu „verzehren“, ihn nahezu vollständig in Bilder umzuwandeln.

Das Ergebnis nach sieben Jahren Arbeit: ein gut 250 Seiten starkes Buch, das als Neuerscheinung im Jahr 2015 wohl mit dem Label „Graphic Novel“ versehen worden wäre. Nachdem das Werk nach der Erstveröffentlichung 1982 und einer Wiederauflage 2005 lange Zeit vergriffen war, wartet der avant-verlag nun (nach Hillmanns Tod im vergangenen Jahr) mit einer bibliophilen Neuauflage auf.

Fliegenpapier kommt tatsächlich mit sehr wenig Text aus. Maximal sechs Zeilen finden sich unter den großformatigen Bildern, die nahezu die gesamte Seite einnehmen. Oft kommt das Buch auch über mehrere Seiten hinweg ganz ohne Text aus. Der vor allem für seine Filmplakate bekannte Grafiker und Illustrator Hillmann erzähl die Kriminalgeschichte in Aquarellen, die vor allem durch den Kontrast von Licht und Schatten und das Spiel mit unzähligen Nuancen von Grau gefangennehmen. Damit nähert er sich nicht nur ästhetisch dem Film noir.
Sein Gebrauch unterschiedlicher Bildausschnitte und die Kombination dieser in der Sequenz der Bilder überträgt verschiedene filmische Verfahren wie Zoom und Schnitt in ein anderes Medium und macht sie dort für die Narration fruchtbar. Die Tatsache, dass die großformatigen Bilder vom Leser in Verbindung gesetzt und die Leerstellen zwischen den einzelnen Motiven gefüllt werden müssen, rückt Fliegenpapier in die Nähe des Comics.

In Hammetts Kurzkrimi geht es um einen Detektiv, der beauftagt wird, eine Tochter aus gutem New Yorker Hause im Auge zu behalten, die ihre Familie verlassen hat und zusammen mit einem Liebhaber im Verbrechermilieu von San Francisco abgetaucht ist.
Hillmanns Adaption spannt sich zwischen zwei Polen auf: Überaus detailreiche Bilder, in denen man sich verlieren kann auf der einen Seite und solche, die sehr klar strukturiert und auf die nötigsten Bildinhalte reduziert sind auf der anderen Seite.
Er beginnt mit der Vorstellung der Protagonistin. Das Auge des Betrachters schweift im Bild umher, bleibt an der New Yorker Skyline, auf die das Fenster ihres Zimmers blickt, hängen, verliert sich im Muster des Teppichs, der Kommode, aus deren Schubladen alle möglichen Gegenstände quellen und der verwelkenden Blumen in einer Vase. Unter dem Bild ist zu lesen:
„Es ging um eine mißratene Tochter.“
Und erst jetzt entdeckt man sie, in der Ecke ihres Zimmers mit Pelzkragen und Hut. Später dann, wenn das Gangsterpärchen unauffindbar bleibt, zeigt Hillmann auf einer Doppelseite die Ansicht eines verlassenen Strandes sowie den Blick aus einem mit Jalousien verschlossenen Fenster auf eine Straße. Beide Motive sind kaum detailliert ausgestaltet, dennoch genügt ein Blick, um die Stimmung von Melancholie und Einsamkeit in sich aufzunehmen. Diese unterschiedliche Art der Bildgestaltung wirkt sich auch auf das Lesetempo aus. Streckenweise blättert man schnell von Seite zu Seite, gefangen im Rhythmus von Schuss und Gegenschuss. Dann wieder verharrt man minutenlang über einem der „Wimmelbilder“.

Eine Leseprobe gibt es hier.

(uf)

Hans Hillmann, Fliegenpapier. 256 Seiten, Duotone, gebunden. avant-verlag,
Berlin 2015. 29,95 Euro

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