Lyrischer Gruß aus Wien – Urs Allemann

altern als problem für brünstler

im maule dünkts die zunge
sie faule, dung im dunge

der ehdem edle zahn
fängt auszufallen an

die nase, selbstreflexiv
riecht altnasenmief

einst stolze liebesknollen –
dysfunktionale bollen

dem lustapparat
schwant: s ist worden spat

Urs Allemann (Foto: Sébastien Agnetti)
Urs Allemann (Foto: Sébastien Agnetti)

Preis für den jauchzenden Knurrer der deutschsprachigen Avantgarde: Der Schweizer Autor und Poesieperformer Urs Allemann gewinnt mit seinem Band In Sepps Welt den Schweizer Literaturpreis 2014 neben sechs weiteren Autoren (u. a. Namensvetter Urs Widmer). Literaturpreise bringen den Literaturschaffenden meist nicht nur einen Geldsegen, sondern auch eine „größere Sichtbarkeit“. An dieser Stelle wird mit dem Abdruck zweier Gedichte aus dem Band zusätzlich für Sichtbarkeit gesorgt. In Sepps Welt erschien 2013 im Wiener Klever Verlag. Der 2008 gegründete unabhängige Verlag versteht sich als „lustvolles Laboratorium für avancierte Gegenwartsliteratur“.

rührendes

brüllt das papier an bis die schwärze es
reist hin wo durch die bloss nicht weisse jetzt reisst
die blösse des des „genietiefs?“ brüllt das das papier
anbiss die reisszwecke zwecken müsste es heissen mit oder
kalten mitteln brüllen dasen papieren annen / „osolieb!“ / nur
(auch bloss repetier mögl art les gewehr wesen ich):
rechteckige mösen lehnt der schreier ab / und scheidet sich
an ann gerissen falls es es komm! ihm! ihr! kommunizierendes
röhren! fir din a dein o
brrr! flächen deckend es streich den schied
weiss schrein schwarz brülln er es ihr unter „la papp“.

In Sepps Welt sind Gedichte dazu da, demontiert und remontiert zu werden. Trakl-, Rilke-, George-Verse machen Platz für „Ersatzgedichte“, in denen sie unüberhörbar im Untergrund weitertuten. Mit elfsilbigen Elftonversen wagt sich der Dichter „für nichts aufs eis“, und „das psychott“ hat Glück oder Pech, indem es „durch die schaffott falln“. Urs Allemann und sein entfernter thölgscher Na­mensvetter Örs Allgmann präsentieren und streiten sich brieflich über „idchtöne“ (Dichtung) aus Thölg – Gedichte in jenem vokalarmen fernnörd­lichen Inselidiom, in dem etwa ein Weihnachtslied „lgdsg rdgsglt igr schngg“ beginnt.“ (Text: Klever Verlag 2013)

„Seine Ver- und Zersetzungen von Silben und Lauten verführen uns dazu, neu hinzuhören auf das, was Dichtung ausmacht: Sie muss Laut werden, damit eine Bedeutung sich einstellt.“ (aus: Schweizer Literaturpreise 2014)

Urs Allemann, geboren 1948 in Zürich, lebt seit 2013 in Goslar. 2012 erhielt er den Heimrad-Bäcker-Preis.

  • Urs Allemann: In Sepps Welt. Gedichte und ähnliche Dinge. Wien: Klever Verlag 2013. 162 Seiten.

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