Post aus Wien – Atlas und Porträt

Manchmal sieht man ja auf Messen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Auf der Buch Wien 14 vergangene Woche, Österreichs größter Bücherleistungsschau auch vieler unabhängiger Verlage, ist die Gefahr nicht gegeben. Umrundung und Durchquerung des Geländes gleichen einem Spaziergang, nur ohne Waldluft. Zwei hübsche Trouvaillen auf einem solchen sollen hier vorgestellt werden – ein Atlas und ein Porträt.

 

81NA90wvBCLIm Herbst erschien beim Salzburger Jung und Jung Verlag ein spezieller und exzellent gestalteter Österreich-Atlas. Hier fährt man nicht mit dem Finger über Karten oder gewinnt Geoinformationen, hier waren nur bedingt Kartografen am Werk, vielmehr verzaubern die Bilder eines Fotografen und die Texte von 68 heimischen und benachbarten Dichterinnen und Dichter, die Crème de la Crème, die „reale Geografie in einen poetischen Drittraum“. Im Untertitel nennt sich der Band literarisch-fotografische Erkundungen aus der Mitte Europas. Dort, im österreichischen Mürzzuschlag etwa, verläuft eine schmucklose Außentreppe an einer gelben Hausmauer entlang mit Schneeverwehungen von unten nach oben darauf. Das Foto war Elfriede Jelinek, geboren ebendort, Anlass für eine poetische Meditation über den Schnee, die Natur und ihr Schreiben. Im Standard gibt es eine Vorausschau zu lesen.

„Im Sommer 1825 machte sich der junge Joseph Kyselak, Akzessist in der Hofkammer-Registratur, von Wien aus auf zu einer Wanderung durch Österreich, Bayern, Südtirol und Slowenien und hielt seine Beobachtungen und Erfahrungen anschließend in einem heute noch höchst lesenswerten Bericht fest. Er unternahm diese Reise zu Fuß und per Schiff, mit leichtem Gepäck und seinem Hund an der Seite. Knapp zweihundert Jahre später geht der Fotograf Anton Kiefer den gleichen langen Weg noch einmal mit der Kamera zur Hand und bringt eine ungewöhnliche Serie von Fotos mit, die nichts Touristisches an sich haben und die Veränderung unseres Blicks auf Land und Leute auf höchst originelle Weise vorführen. Das wird in diesem Buch noch einmal verstärkt, indem Autorinnen und Autoren aus Österreich und den angrenzenden Ländern sich jeweils ein Foto und also einen Ort ausgesucht haben, zu dem sie einen besonderen Bezug haben, und darüber schreiben. Entstanden ist so ein einzigartiger und sehr zeitgenössischer Österreich-Atlas.“ (Jung und Jung Verlag 2014)

  • Anton Kiefer: Österreich-Atlas. Literarisch-fotografische Erkundungen aus der Mitte Europas. Herausgegeben von Anna und Jochen Jung. Salzburg: Jung und Jung Verlag 2014. 160 Seiten. 36 Euro.

 

Auch Peter Handke ist als „Kartenschreiber“ im obigen Atlas vertreten. Er ist die Brücke zum bereits 2011 im feinen Müry Salzmann Verlag, ebenfalls beheimatet in Salzburg, veröffentlichten originellen Werk von Lillian Birnbaum Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit. Der Dichter selbst ist tatsächlich nicht auf den stillen Fotos (60 Farb- und 4 Schwarzweißfotos) zu sehen, sie erzählen allein von der Anwesenheit der Dinge in seinem Haus und seinem Garten bei Paris. Die Fotos nennen sich etwa Sessel/Tisch/Äpfel, Limonade/Nüsse oder Federn/Tür. Immer wieder zu sehen sind auch Nähseiden, Handke stickte (S. 64/65). Dabei könne er gut denken. Das Arrangieren der Dinge, das fließend zwischen Asymmetrie und Symmetrie oder auch Unordnung und Ordnung changiert, wirkt manchmal wie eine Laune der Natur und weist doch auf eine kunstvoll komponierte Privatheit hin. „In diesen fotografierten Bruchstücken ist seine Anwesenheit verborgen“, schreibt Birnbaum zu dem Band. Das letzte Foto endet mit einer Pointe; hier ruhen die Hände des Porträtierten beim Pilzeschneiden in der Bildmitte. Das Haus ist also doch bewohnt.

042-0„Viele Male, zumeist an Sonntagen, besuchte die ­Fotografin ­Lillian Birnbaum den Dichter Peter Handke in seinem Haus bei Paris, um ihn aus diversen Anlässen zu portraitieren. Erst beiläufig, dann gezielt richtete sie dabei ihr Augenmerk auf die zerstreuten, doch nach einer geheimnisvollen Ordnung arrangierten Dinge im Haus und im Garten: Federn, Steine, Notizbücher, Nüsse, Postkarten, Pilze, Bleistifte, Münzen und vieles mehr. Es entstand die Idee, aus diesen kleinen Installa­tionen eine andere Art von Portrait zu versuchen: ohne den Dichter,  als sei er in den Dingen auf verborgene Weise anwesend.
Peter Hamm, Autor und Freund Handkes, steuert zu dieser einzigartigen Fotoserie eine Skizze des Hauses bei, das nicht im herkömmlichen Sinn „eingerichtet“, sondern eher „ausgerichtet“ ist: auf das Draußen, von wo der wandernde Dichter, mit Fundstücken beladen, immer wieder heimkehrt. Den Band beschließt eine Passage aus dem Versuch über den geglückten Tag, dem ersten Werk, das in dieser Umgebung entstand.“ (Müry Salzmann Verlag 2014)

  • Lillian Birnbaum: Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit. Mit einem Vorwort von Peter Hamm und einem Text von Peter Handke. 104 Seiten. 60 Farb- und 4 s/w-Fotos. Salzburg: Müry Salzmann Verlag 2011. 104 Seiten. 28 Euro.